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Zwille und der Ärger danach

Zwille und Messer im Fußraum

Die Zwille liegt neben anderem Krempel im Fußraum auf der Beifahrerseite des Kleintransporters, eines Pick-Ups. Rudi Ratlos pfeifts sich eins, er ist auf dem Weg ins Jagdrevier und freut sich auf das lange Wochenende.

Die bayerischen Beamten an der Raststätte freuen sich auch. Sie haben einen großen Fang gemacht. Durch die Scheibe sahen sie die Zwille und daneben das Brotmesser liegen. Beides wird natürlich beschlagnahmt und der lange Arm des Gesetzes schlägt erbarmungslos zu.

Knapp ein Monatsgehalt Strafe

Die Oberfranken, ja, man muß Gott für alles danken, erlassen einen Strafbefehl und Rudi Ratlos soll knapp ein Netto-Monatsgehalt ( 25 Tagessätze) auf den Tisch legen. Er soll die tatsächliche Gewalt über eine verbotene Waffe (eine Präzisionsschleuder) ausgeübt haben und ohne berechtigtes Interesse ein Messer mit einer Klingenlänge von 15,5 cm geführt haben.

Wer sich für das Thema Präzisionsschleuder interessiert wird auf unserem Waffenrechtsblog fündig: Präzisionsschleudern

Saublöd, denn es ist keine Präzisionsschleuder, sondern ein simples Kinderspielzeug. Und das berechtigte Interesse war auch vorhanden, auf der langen Fahrt sollte beim Bäcker Brot und beim Fleischer gute fränkische Wurst gekauft werden; beides mit dem Messer in mundgerechte Stücke zu teilen.

Verteidigungstaktik

Jetzt hätte man Kosten verursachen können, nett übernachten und zur Verhandlung gehen. Dem Richter die Sachlage erläutern, der dann ein Gutachten in Auftrag gegeben hätte, um sodann Wochen später nach Eingang des Gutachtens am neuen Verhandlungstag Rudi Ratlos zähneknirschend freizusprechen. Die Kosten hat dann die Staatskasse zu tragen. Mindestens zwei Anreisen, zwei Verhandlungstage, viel Geld.

Nein, so arbeiten wir nicht.

Wir weisen das Gericht auf den Sachverhalt hin, erläutern die Merkmale einer Präzisionsschleuder, die Rudi Ratlos‘ Schleuder nicht aufweist.

Nö, der Richter guckt sich die Zwille nicht persönlich an, sondern vergibt einen Auftrag an das Kriminaltechnische Institut in München, das nichts besseres zu tun hat, als auf solche sinnfreien Gutachtenaufträge zu warten. Nach ein paar Wochen hat der Richter das Gutachten auf dem Tisch: Das Ding hat mit einer Präzisionsschleuder nichts gemein.

Ein unanständiges Angebot mit der Zwille

Sie denken: Das war’s?

Natürlich nicht. Der Richter fragt, ob wir mit einer Einstellung nach §153 Abs. 2 StPO einverstanden sind. Schließlich sei ja noch der Ordnungswidrigkeitenvorwurf in der Luft. Das hat schon ein Geschmäckle. Eine Anklage, die sich als haltlos erweist und Rudi Ratlos daher freizusprechen ist. Verbunden mit einer Ordnungswidrigkeit und deshalb wegen geringer Schuld die angebotene Einstellung.

Warum das alles? Der Richter will der Staatskasse die Anwaltskosten ersparen und wird bei seinem Einstellungsbeschluß gem. § 467 Abs. 4 StPO davon absehen, diese Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen; der Angeklagte soll darauf sitzen bleiben. Er braucht aber die Zustimmung des Angeklagten zur beabsichtigten Einstellung und fragt daher nur sybillinisch an, ob Einverständnis mit einer Einstellung besteht.

Bedingungsfeindliche Zustimmung

Wer jetzt die Zustimmung unter der Bedingung erklärt, daß die Anwaltskosten ihm erspart werden, wird ins Messer laufen. Die Erklärung ist bedingungsfeindlich, die Zustimmung ist erklärt, der Angeklagte bleibt auf den Anwaltskosten sitzen.

Also erklären wir, wir würden zustimmen wenn die Staatskasse die Verteidigerkosten trägt. Der Richter möge sich bitte erklären.

Der erklärt sich in Form eines kurzen Beschlusses, wie wir es befürchtet hatten: Das Verfahren ist nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten eingestellt, die Kosten trägt die Staatskasse.

Kein Wort von den notwendigen Auslagen des Angeklagten. Wenn sie nicht der Staatskasse auferlegt werden bleiben sie beim Angeklagten hängen.

Einfache Beschwerde trotzt § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO

Die Entscheidung über die Einstellung kann nicht angefochten werden, § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO.

Die Unanfechtbarkeit bezieht sich aber lediglich auf die Ermessenentscheidung des Gerichts über die Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO. Die Beschwerde ist hingegen in den Fällen statthaft, in denen eine prozessuale Voraussetzung für die Einstellung fehlt. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn eine erforderliche Zustimmung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist.

Jetzt bin ich neugierig was passieren wird. Fragt er nochmal wegen einer Einstellung an, diesesmal mit der gesetzlichen Regel, wonach die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind?

Oder zieht er es durch und verurteilt wegen der Ordnungswidrigkeit?

Verhandlung in Oberfranken

Das Landgericht hob die Einstellung auf unsere Beschwerde auf und hat dem Richter anheimgestellt, erneut einzustellen oder aber zu verhandeln. Was machte er? Natürlich: Er hat zur Verhandlung geladen, morgens um 10 Uhr und das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet.

Also Anreise am Vortag, leckeres fränkisches Abendessen mit umfangreicher Verkostung der Produkte der gegenüberliegenden Brauerei und Übernachtung in einem reizenden Dorfgasthaus. Dafür ein herzliches Dankeschön, ich komme bestimmt bald wieder.

Urteil: 200 € wegen des Führens eines Messers mit einer Klinge von 15,5 cm und die Kosten des Verfahrens wurden dem Angeklagten auferlegt.

Ein Aspekt der Verhandlung war mir einen gesonderten Beitrag wert: Beitrag Auslagenentscheidung

 

 

Schiedsrichter zeigt die rote Karte

Revisionshauptverhandlung – Die Arroganz der Macht

Die Revisionshauptverhandlung in einer Strafsache liegt nun mehr als einen Monat hinter mir und ich bin immer noch auf 180.

Wann erfolgt eine Revisionshauptverhandlung?

Für den Laien ein paar erklärende Worte zuvor:

  • Meist wird die Revision vom Angeklagten eingelegt, die Staatsanwaltschaften halten sich vielerorts zurück.
  • Der Gesetzgeber hat das Revisionsverfahren so geregelt (§ 349 StPO), daß die allermeisten Verfahren ohne Revisionshauptverhandlung durch Beschluß entschieden werden. Die Arbeit der Richter ist vorwiegend Schreibtischarbeit, die Hauptverhandlung die seltene Ausnahme.
  • Über eine von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision ist nicht durch Beschluß, sondern in mündlicher Verhandlung zu entscheiden.
  • Der Ablauf dieser Verhandlung ist dezidiert beschrieben, § 351 StPO.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das dem Angeklagten günstige Urteil ist nach unserer Ansicht unbegründet. Natürlich haben wir das in der Gegenerklärung ausführlich dargestellt.

Frohen Mutes bin ich zum Kampf nach Stuttgart in den dortigen Hauptverhandlungskeller gezogen und habe ausführlich unseren Standpunkt im Plädoyer dargestellt.

Vertane Mühe und Reisekosten für eine Farce

Der hohe Senat hat sich zur Beratung zurückgezogen und bat die Beteiligten, sich nicht allzu weit zu entfernen. Was dann passierte ist im Protokoll nur teilweise zutreffend wiedergeben.

Das Gericht zieht sich um 11:15 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt des Senats um 11:20 Uhr verkündet der Vorsitzende durch Verlesen der Urteilsformel und mündlicher Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe im Namen des Volkes folgendes Urteil:

Das Protokoll ist nicht einmal unrichtig. Auch das Verlesen der Urteilsgründe ist eine mündliche Mitteilung. Der Vorsitzende hat das Urteil insgesamt verlesen, es lag bereits fertig ausformuliert auf dem Tisch. Das Verlesen dauerte länger als die Beratungszeit währte. In dieser Zeit tippt keiner so ein Urteil.

Der Angeklagte hatte mich zuvor gefragt, ob er an der Revisionshauptverhandlung teilnehmen soll. Ich erklärte ihm, daß es schließlich um seine Sache ginge und sich ein Senat des Oberlandesgerichtes mit seinem Fall beschäftige. Dies würde angesichts der Bedeutung der Sache seine Anwesenheit erfordern.

Der Mandant sah das nach der Verhandlung deutlich anders: „Die Verhandlung war überflüssig, das Urteil stand bereits fest.“

Recht hat er. Diese Verhandlung war eine Farce. Das Ergebnis der Revisionshauptverhandlung stand bereits zuvor fest. Eine Schande.

 

Und es geht weiter bergab

Das wäre mir doch fast durchgerutscht, ein erneutes

Gesetz zur „Modernisierung“ des Strafverfahrens.

Dankenswerterweise hat sich der Kollege Burhoff des Themas angenommen. Seine Kommentare sind vernichtend, beispielsweise:

Also: Rechteabbau für Beschuldigte, was sich m.E. schon bei der Namensgebung für das neue Gesetzesvorhaben angekündigt hat. Denn m.E. geht es immer, wenn das BMJV das Wort “Modernisierung” in Zusammenhang mit Strafverfahren in den Mund nimmt, um “Vereinfachung und Beschleunigung”. Und auf dem Altar der Beschleunigung werden dann Beschuldigtenrechte geopfert.

Burhoff: Rechteabbau durch das “Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens”, oder: Sie haben es getan/vor

Das ist deswegen so beachtenswert, weil der Kollege ein Vorleben hat. Bevor er Rechtsanwalt wurde, war er Richter am OLG Hamm. Er kennt also auch die Perspektive eines Richters am Oberlandesgericht und u.a. deren Sicht auf die Strafverteidiger.

Der Kollege hat einige Änderungen kurz kommentiert. Lesenswert!

Mich hat die erneute Verlängerung der Unterbrechungsfristen des § 229 StPO besonders erbost. Keine wirkliche Dokumentation der Hauptverhandlung und dann Unterbrechungen bis zu zwei Monaten. Ob es wohl wirklich Richter gibt, die sich nach dieser Zeit noch an die durchgeführten Hauptverhandlungstage erinnern können? Modernisierung des Strafverfahrens?

Es wird künftig noch mehr am Verhandlungsgeschick der Strafverteidiger unserer Kanzlei liegen, daß sich die Richter an unsere Verhandlung erinnern können.

Wir hatten bisher kaum Veranlassung, Befangenheitsanträge zu stellen. Allein die Wortwahl

Die Möglichkeiten, Hauptverhandlungen durch – statistisch gesehen – in aller Regel unbegründete Befangenheitsanträge zu obstruieren, sollen verringert werden.

aus dem Eckpunktepapier läßt mich in Schnappatmung verfallen. So geht man mit Organen der Rechtspflege um?

„OBSTRUIEREN“?

Das heißt erschweren, hemmen, verhindern. Das ist der Ausgangspunkt des Ministeriums.

Können Sie sich vorstellen Nebenkläger zu sein und vor einem Richter zu sitzen, der sich vom Angeklagten ein Autogramm geben ließ? Sie meinen dieser Richter ist befangen? Sie meinen, der Rechtsanwalt, der einen Befangenheitsantrag einreicht, obstruiert die Hauptverhandlung? Wenn ja, ist Ihr Rechtsverständnis nicht das unsrige.

Als letztes Beispiel die Vereinfachung des Beweisantragsrechts.

Vereinfachung? Wie erreicht der Gesetzgeber das? Der Verteidiger muß nicht mehr komplizierte Regelungen für die Beweisanträge einhalten, die das Gesetz und die Rechtsprechung entwickelt haben? Klasse! Endlich eine Modernisierung des Strafverfahrens! Schauen wir uns das Eckpunktepapier diesbezüglich an:

4. Vereinfachung des Beweisantragsrechts
Um missbräuchlich gestellte Beweisanträge leichter ablehnen zu können, sollen die Voraussetzungen für die Annahme der Verschleppungsabsicht abgesenkt werden.

Sie können noch ruhig schlafen? Recht haben Sie! Es trifft nur die Schuldigen. Die, die vom Gericht verurteilt wurden. Die am Stammtisch trifft es bekanntlich zuletzt.

Tag der Jura-Studentinnen

wonder-woman-552109_640Gestern war Weltmädchentag. Heute rufe ich zum Jura-Studentinnentag aus. Der Kollege Hoenig fragt zu Soko-Wismar nach der Rechtslage. Viel zu schwierig.

Aber jeder hat die Heldentat der syrischen Flüchtlinge bei der Festnahme des gesuchten Landsmannes mitbekommen. Wie ist die Rechtslage? Freiheitsberaubung, Körperverletzung?

Denn der „Jedermann-Paragraph“ § 127 StPO ist wohl nicht einschlägig, da nicht auf frischer Tat betroffen oder verfolgt. Wie begründet wohl der Staatsanwalt die Einstellung der Ermittlungen?

Ich werde alt

bureaucracy-1016169_640seit so vielen Jahren verteidige ich in Steuerstrafsachen aber es scheint immer schlimmer zu werden. Kistenweise hat die SteuFa Unterlagen mitgenommen.

Mir flattert der dazugehörige Durchsuchungsbefehl auf den Tisch. Die Anforderungen an die Begründung derartiger Beschlüsse sind sehr hoch, das Bundesverfassungsgericht versteht da relativ wenig Spaß.

Was mögen die Karlsruher wohl zu dieser mehr als knappen Begründung sagen?

Der Beschuldigte ist der Hinterziehung von Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer für die Zeiträume 2012 bis 2014 zu Gunsten der XY durch Unterlassung der entsprechenden Erklärungsabgabe verdächtig.

Im Hinblick auf § 30 AO entfällt eine weitere Begründung.

Welche künftigen Arbeitserleichterungen bieten sich da:

  • Im Hinblick auf das Sozialgeheimnis entfällt eine weitere Begründung.
  • Im Hinblick auf das Bankgeheimnis[1] entfällt eine weitere Begründung.
  • Im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht entfällt eine weitere Begründung.
  • Im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht entfällt eine weitere Begründung.
  • Vielleicht auch im Hinblick auf das richterliche Beratungsgeheimnis?

Da fehlen nicht ein paar Gründe, da wird überhaupt nichts Nachvollziehbares dargestellt, kein Lebenssachverhalt geschildert. Wie kann sowas einen Richtertisch verlassen?

Wenn ich die Akte bekomme werde ich bestimmt feststellen, daß der Beschluß 1:1 dem Antrag des Finanzamtes entspricht.

Wissen Sie was ein Kompositum ist? Erklärungsabgabe ist wohl ein Determinativkompositum, bei dem das erste Substantiv das zweite bestimmt. Es handelt sich also um eine Abgabe, genauer: Erklärungsabgabe. Vgl. Tisch + Decke = Tischdecke. Das Erstglied bestimmt das Zweitglied. Erklärung bestimmt Abgabe.

Was ist eine Abgabe? Abgabe (steuer-rechtlich) ist eine kraft öffentlichen Rechts begründete Geldzahlungspflicht an den Staat zur Erzielung von Einnahmen. Zu den Abgaben zählen Steuern, Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben.[2].

Eine Abgabe auf Erklärungen, so wünschenswert sie auch sein mag, kennt das geltende Recht aber nicht. Ihr Unterlassen kann also keine Strafbarkeit begründen.

Aber ist ja egal, nicht wahr? Wir alle wissen ja schließlich was gemeint ist. In ein paar Jahren braucht es nichtmal diesen semantischen Schwachsinn, ein allgemeines Grunzen wird die Begründungserfordernisse erfüllen, suum cuique – Sau quiekt.

Vom Unterschied zwischen der Unterlassung und dem Unterlassen will ich hier nicht berichten. Der eine oder andere wird mich verstehen.

  1. [1]gibt es nicht
  2. [2]http://www.juraforum.de/lexikon/abgabe