Nachtbriefkasten
Die Krux mit dem Nachtbriefkasten
Im Rechtsverkehr gibt es die Besonderheit des Nachtbriefkastens. Vor den Gerichten und vielen Behörden hängen besondere Briefkästen mit einer Besonderheit: Um Punkt 24:00:00 Uhr, so soll es jedenfalls sein, fällt im Briefkasten eine Klappe und danach eingeworfene Briefe fallen in ein gesondertes Fach für den Folgetag. Auf diese Weise kann die Behörde erkennen, ob eine Sendung noch fristgerecht oder erst verspätet, und sei es um Sekunden, eingeworfen wurde.
Wir mögen die Dinger nicht mehr, seitdem wir vor Jahren angeblich eine Klage einen Tag zu spät erhoben hätten. Nach langem hin und her ergaben dann die Nachforschungen letztlich, daß die Uhr des Nachtbriefkastens nicht auf die Sommerzeit umgestellt wurde.
Sicherheitshalber ein Video gedreht
Ein Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht erlebte Gruseliges. Für ihn endete – ungewöhnlicherweise – eine Frist am 06. Januar[1] 2021, um 24:00 Uhr.
Er machte sich also am Feiertag auf den Weg zum Nachtbriefkasten des Amtsgerichtes und warf seinen Antrag um 21:21 Uhr ein. Der Kasten wurde am folgenden Tag geleert. Da die Antragsschrift in das Fach gefallen war, in das alle nach 24:00 Uhr eingeworfenen Schreiben gelangten, erhielt der Schriftsatz den Eingangsstempel des 7. Januar 2021 und wurde daher als verspätet zurückgewiesen.
Er muß sich sowas schon gedacht haben. Aus der Entscheidung des BVerfG vom 19.04.2023 – 2 BvR 1844/21 –
Der Beschwerdeführer legte daraufhin eine Videodatei vor, von der er erklärte, sie zeige ihn beim Einwurf des Schreibens in den Nachtbriefkasten. Im Hintergrund sei das Radio seines Wagens zu hören. Ein Abgleich mit dem Programm des Senders ergebe, ebenso wie der Zeitstempel des Videos, dass er sein Schreiben am 6. Januar 2021, um 21:21 Uhr, in den Briefkasten eingeworfen habe.
Ermittlungsverfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt
Einem Strafverteidiger ist völlig klar was jetzt passierte: Der arme Mann gab eine eidesstattliche Versicherung darüber ab, es gab eine Strafanzeige wegen falscher Versicherung an Eides statt (§ 156 StGB) und die Staatsanwaltschaft ermittelte. Deren telephonische Nachfrage bei der Wachtmeisterei ergab, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Nachtbriefkasten nicht einwandfrei gearbeitet haben könnte.
Das Amtsgericht erließ daraufhin einen Durchsuchungsbeschluß. Gesucht werden sollte nach Mobiltelefonen, Computern, Laptops, Tablets und anderen elektronischen Speichermedien. Eine Auswertung dieser Beweismittel sollte erhellen, wann das Video aufgenommen worden sei. Bei der Durchsuchung wurden ein Mobiltelefon und zwei Rechner sichergestellt.
Eine Auswertung des von dem Beschwerdeführer vorgelegten Videos ergab, dass eine Manipulation unwahrscheinlich sei.
Nachtbriefkasten falsch eingestellt
Eine erneute Befragung der Wachtmeisterei des Amtsgerichts ergab, dass diese am 6. Januar 2021 nicht besetzt gewesen sei, sodass alle nach dem 5. Januar, 24:00 Uhr, eingegangenen Schreiben den Eingangsstempel des 7. Januar 2021 erhalten hätten.
Erst das BVerfG hat es gerichtet
Amtsgericht und Landgericht haben den Beschwerden des Antragstellers nicht abgeholfen. Alles sei mit rechten Dingen zugegangen. Das BVerfG sah das dann doch ganz anders:
Die Anordnung der Durchsuchung war aber unverhältnismäßig, denn sie war nicht erforderlich. Mildere Ermittlungsmaßnahmen, die den Verdacht wohl auch zerstreut hätten, drängten sich geradezu auf und wurden unterlassen.
Naheliegender und jedenfalls grundrechtsschonender wäre es gewesen, zunächst Ermittlungen zum Betrieb des Nachtbriefkastens aufzunehmen. Dies habe sich wegen des Feiertages nahezu aufgedrängt. Daneben hätte es sich aufgedrängt, zunächst die Videodatei darauf zu überprüfen, ob Hinweise für eine Manipulation vorlägen.
Interessant nachzulesen: BVerfG vom 19.04.2023 – 2 BvR 1844/21 –
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Update 17.10.2024
Jetzt wurde bekannt, daß der von der Durchsuchung betroffene Jäger und Waffenbesitzer ist. Die Durchsuchung hatte waffenrechtliche Implikationen, sprich: die Waffenbehörde widerrief die Waffenbesitzkarte und zog den Jagdschein ein. Auch hiergegen hat er sich letztlich erfolgreich zur Wehr gesetzt. Einzelheiten in unserem gestrigen Beitrag Odyssee durch die Instanzen
- [1]in Bayern, B-W und S-A ist Epiphanias (Heilige Drei Könige) gesetzlicher Feiertag↩