Wahrheitswidrige Belehrungen zur Wahrheitspflicht durch Polizei
Wenn ein Polizeibeamter einen Zeugen vor der Vernehmung belehrt,
Vor der Vernehmung werden die Zeugen zur Wahrheit ermahnt und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt. Auf die Möglichkeit der Vereidigung werden sie hingewiesen. Im Fall der Vereidigung sind sie über die Bedeutung des Eides und darüber zu belehren, dass der Eid mit oder ohne religiöse Beteuerung geleistet werden kann.(§ 57 StPO)
dann ist das schlicht eine falsche Belehrung! Zeugen sind nicht verpflichtet zur Vernehmung bei der Polizei zu erscheinen und zur Wahrheit sind sie auch nicht verpflichtet. Der Zeuge muß vor dem Richter und Staatsanwalt erscheinen und dort wahrheitsgemäß aussagen. Der Staatsanwalt darf ihn nicht vereidigen, die Vereidigung ist dem Richter vorbehalten.
Nun frage ich mich warum derartige falsche Belehrungen bei polizeilichen Vernehmungen erfolgen und im Vordruck vorgesehen sind. Eine wahrheitswidrige Belehrung zur Wahrheitspflicht.
Das ist nicht ganz richtig. Zeugen sind zwar in der Tat nicht zum Erscheinen vor der Polizei verpflichtet, aber wenn sie dort eine Aussage machen, gilt die Wahrheitspflicht (und die mögliche Strafbarkeit einer einer Falschaussage nach §§ 145d, 164, 257 oder 258 StGB).
RA Jede:
Die von Ihnen aufgeführten Strafvorschriften sanktionieren keine unwahren Aussagen, sondern haben einen eigenständigen Unrechtsgehalt. Eine unwahre Aussage ist noch lange keine Strafvereitelung oder Falsche Verdächtigung. Der Zeuge darf lügen bis sich die Hucke biegt – solange er dadurch keine andere Straftat begeht.
Da ein Zeuge nicht zum Wetter oder zu Fussballergebnissen vernommen wird, sondern zu straftatrelevanten Umständen, ist es ziemlich schwierig, „zu lügen bis sich die Hucke biegt“, ohne jemanden wahrheitswidrig zu be- oder entlasten und damit die genannten Strafvorschriften zu verwirklichen. Andere als diese Strafvorschriften gibt es im übrigen auch für die Aussage bei der Staatsanwaltschaft nicht.
RA Jede:
Tschuldigung, ich habe lange gezögert. Aber die hier auch lesenden Laien glauben vielleicht was Sie feststellten:
Solche Vernehmungen gibt es in der Praxis nicht.
Richtig ist, dass die durch „Jens“ genannten Vorschriften nicht die unwahre Aussage an und für sich pönalisieren. Es ist jedoch in der Praxis ausgesprochen schwierig, die Unwahrheit zu sagen, ohne zugleich entweder jemanden falsch zu belasten, jemanden vor Strafverfolgung zu schützen oder auch nur eine Straftat vorzutäuschen oder dies zu versuchen. Der Nachweis ist etwas schwieriger, weil der Nachweis der bloßen Unwahrheit nicht genügt, aber in den praktischen Konstellationen werden falsche oder unvollständige Angaben bei der Polizei (oder der Staatsanwaltschaft – richtig auch der Hinweis, dass die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage vor der Staatsanwaltschaft nicht weiter geht als vor der Polizei, weil nur die falsche Aussage vor Gericht per se strafbar ist) ja nicht „einfach so“ gemacht und nur sehr selten mit der bloßen Absicht, persönliches oder intimes nicht preisgeben zu müssen – es geht normalerweise darum, einen anderen zu begünstigen oder ihm etwas „hineinzuwürgen“.
Insofern ist die Aussage „Der Zeuge darf lügen bis sich die Hucke biegt – solange er dadurch keine andere Straftat begeht.“ rechtlich zwar richtig, faktisch aber recht irreführend und – dem rechtlichen Laien gegenüber – durchaus gefährlich.
Dass der ComVor-Vordruck, den Sie zeigen, so nicht optimal gestaltet ist, ist sicher richtig; dass die übliche Belehrung („Sie wissen, dass Sie bei der Polizei die Wwahrheit sagen müssen und sich sonst strafbar machen (können)?“) nicht optimal ist, ist es auch. Sie ist aber inhaltlich und praktisch im Ergebnis sehr viel richtiger als Ihre Darstellung – entscheidend ist nämlich m.E. vor allem, dass die tatsächliche Rechtslage beim Zeugen möglichst richtig ankommt.
Wer 100%ig juristisch korrekte Belehrungen fordert, die dann letztlich in der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts bestehen, gibt den Betroffenen Steine statt Brot – oder versteht irgendein „Normalbürger“, was ihm „Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“ oder „Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen … kann.“ sagen will?! Sicherlich nicht.
Vielleicht liest man einfach mal das Gesetz, hier z.B. § 163 StPO und findet dort:
„Bei der Vernehmung eines Zeugen durch Beamte des Polizeidienstes sind § 52 Absatz 3, § 55 Absatz 2, § 57 Satz 1 und die §§ 58, 58a, 58b, 68 bis 69 entsprechend anzuwenden.“
57 S. 1 ist also keineswegs falsch, falsch ist es, ohne Blick ins Gesetz von „wahrheitswidrigen“ Belehrungen zu schreiben.
@ maine frage: Vorzüglicher Hinweis! Es ist also genau anderherum wie RA Jede den Leser glauben machen will – die Belehrung wäre gesetzeswidrig geween, wenn sie sich nicht auch auf die Wahrheitspflicht erstreckt hätte, und mittelbar folgt daraus natürlich auch, dass das Gesetz vom Bestehen einer Wahrheitspflicht ausgeht.
Dem klugen Kommentar von Thomas Hochstein ist nur noch hinzuzufügen, daß eine richtige Belehrung nicht so schwer sein kann:
Wahrheitspflicht und Ermahnung zur Wahrheit sind nur mal zwei (verschiedene) Paar Schuhe.
Zur Wahrheit ermahnen: Selbstverständlich. Das lernen doch wohl schon die Kinder. Eine Pflicht zur Wahrheit besteht nicht. Insofern habe ich tatsächlich einen Fehler gemacht: Die Pflicht besteht auch nicht beim Staatsanwalt.
@malnefrage: Danke für diesen richtigen Hinweis.
Der Verweis ist allerdings neueren Datums (2. Opferrechtreformgesetz vom Juli 2009) und daher sicherlich noch nicht überall angekommen; so verweist auch im Karlsruher Kommentar (aktuelle Auflage von 2013) die Kommentierung zu § 57 StPO noch auf den mit dem vorgenannten Gesetz aufgehobenen (und mittlerweile neu besetzten) § 163a Abs. 5 StPO, der einen entsprechenden Verweis noch nicht enthielt.
Aus der amtlichen Begründung zu § 57 StPO (BT-Dr. 16/12098, S. 12):
„§ 57 StPO regelt für die richterliche Vernehmung von Zeugen verschiedene Belehrungs- und Hinweispflichten. Soweit diese die Vereidigung betreffen, können sie nur bei der richterlichen Vernehmung Anwendung finden, weil die Vereidigung allein dem Gericht vorbehalten ist. Soweit sie dagegen die Belehrung über die Wahrheitspflicht und die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage betreffen, sind sie inhaltlich auch auf die polizeiliche Vernehmung übertragbar. Mit der vorgeschlagenen Fassung wird die Vorschrift – ohne inhaltliche Änderung – neu gegliedert, um eine entsprechende Anwendung von Satz 1 für die polizeiliche Vernehmung zu ermöglichen.“
RA Jede:
Und? Was meinen Sie mit „amtlicher“ Begründung? Wird eine unzutreffende Wortwahl dadurch richtig, daß sie in einer Begründung steht? Da gibt es in den ersten Semestern Vorlesungen zur Auslegung von Gesetzen … Entweder Sie finden eine Strafvorschrift, die die Falschaussage vor der Polizei unter Strafe stellt (Sie werden sie nicht finden). Oder Sie finden eine neue Definition für „Pflicht“.
@ ra jede:
und eine pflicht ist nur dann eine pflicht, wenn der verstoß gegen sie strafrechtliche konsequenzen nach sich zieht? wohl kaum.
@10. Kommentar: So ist’s recht! Endlich der richtige Einwand gegen RA Jedes Eingangsthread. Die Wahrheitspflicht ist das, was aus der Ermahnung zur Wahrheit resultiert, nicht aus der Strafbewehrtheit entgegengesetzten Verhaltens.
(Strafandrohung ist immer schon ein semantisch irreführender Begriff gewesen, da er von der Abschreckungswirkung von Strafbewehrungen ausgeht. Psychologisch ist diese Auffassung nicht haltbar, die Strafbewehrung ist eine rein positivistische Sanktionsspielraumbeschreibung. Das StGB, also auch hinsichtlich aller Aussagedelikte, gibt den Rahmen zur Sanktionierung von realistischem, gesellschaftlich-gesetzgeberisch nicht akzeptiertem Fehlverhalten vor, ex post. § 57 1. Halbsatz StPO hingegen will präventiv die Zeugenvernehmung lenken – einer der seltenen nichtrepressiven Einsprengsel.) Aber ich schweifte ab. Wo war ich? Ach ja:
Wenn man sich § 57 StPO einmal ansieht, so sind die Ermahnung zur Wahrheit und die Belehrung über die möglichen strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage durch die Konjunktion „und“ getrennt und keinesfalls kausal verknüpft. Auch die Annahme, dass mit dem Hinweis auf die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen ausschließlich die falsche eidliche und uneidliche Aussage gemeint sei, ist falsch, denn die falsche eidliche Aussage wird demonstrativ erst zwei Sätze später in einem neuen, vom Vorvorgängerhalbsatz unabhängigen Satz behandelt (denn das ist ja wohl mit der Pflicht zur Belehrung „über die Bedeutung des Eides“ gemeint: die besonderen strafrechtlichen Konsequenzen einer falschen Aussage unter Eid). Genau wegen dieses chronologischen, unterschiedliche Deliktsbereiche berührenden Aufbaus des § 57 StPO wird in § 163 (3) StPO ja auf die ausschließliche Anwendbarkeit des § 57 Satz 1 StPO bei polizeilichen Zeuenvernehmungen hingewiesen, konsequenter Weise nicht nur auf den ersten Halbsatz. Insofern ist der ganz zu Anfang des Threads eingefügte Screenshot einer Zeugenbelehrung durch die Polizei (Quelle?) in der Tat nur deswegen nicht korrekt, weil dort eben nicht auch auf die strafrechtlichen Konsequenzen u.a. der Strafvereitelung oder des Vortäuschens einer Straftat i.S.d. § 57 Satz 1 2. Halbsatz hingewiesen wird und damit dem § 163 (3) StPO nicht genügt. Der im Anschluss an den den Screenshot gefolgerte Schluss, dass, wenn bei der Polizei vollumfänglich nach § 57 StPO belehrt würde, dies schlicht eine falsche Belehrung wäre, soll von mir aus richtig sein, aber die im Screenshot dargelegte Belehrung über die Wahrheitspflicht nach § 57 StPO, und damit komme ich zum Ende, sehr geehrte Frau Vorsitzende, liebe Bausparer, Herr Generalmusikdirektor, tut eben nur das: sie ermahnt zur Wahrheit.
@ 6. Kommentar, von RA Jede: Wenn die Ermahnung zur Wahrheit etwas anderes wäre als die Belehrung über die Wahrheitspflicht, hätten wir aber einen fatalen Bruch der Einheitlichkeit der Rechtsordnung: Der Zeuge hätte demnach die Pflicht, bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen (§ 161a StPO), dürfte dort jedoch, da er dort nicht vereidigt werden kann, wahrheitswidrig salbadern? Wohl kaum. Immerhin ist ja seit geraumer Zeit der Begriff der Wahrheit bestimmt worden mit subjektiver Wahrheit nach bestem Wissen, also known as: Wahrhaftigkeit.
Und noch zwei Dinge empfehle ich der Aufmerksamkeit:
1. Dass der Wahrhaftigkeit des Zeugen in verschiedenen Verfahrensstadien unterschiedlicher Wert zugemessen werde, ist aus Gründen der Verfahrenslogik nicht wahrscheinlich. In den einschlägigen Kommentaren findet sich denn auch, dass seitens der nicht vereidigungsfähigen Stellen auf die Strafbarkeiten gemäß der restlichen Aussagedelikte hingewiesen werden sollte. Es ist also keineswegs so, dass innerhalb einer Zeugenvernehmung diese Delikte nicht begangen werden können.
2. Ich empfehle RA Jede, sollte er bei seiner Auffassung bleiben, demnächst jeden Strafbefehl der Staatsanwaltschaft gegen einen beschuldigten Mandanten vor Gericht mit der Begründung zu bekämpfen, der Strafbefehl sei mutmaßlich auch aufgrund von Zeugenaussagen erlassen worden, deren Wahrheitsgehalt schon deshalb angezweifelt werden müsse, da sie im bisherigen Verfahrensgang nicht die Wahrheitspflicht gehabt hätten…
Ist schon witzig, daß eine solche strafrechtliche Binsenweisheit hier zu so vielen guten Beiträgen führt.
Wer zu des Pudels Kern gelangen will, muß den Pudel abbalgen; wer ihn entkernt, sieht nur den äußeren, ersten Schein – gleich dem des entkernten Gebäudes.
Wenn die Polizistin den Zeugen belehrt, er müsse die Wahrheit sagen, ansonsten mache er sich strafbar, belehrt sie unwahr. Der Teilsatz
ist schlicht unwahr. Wer hier bspw. weiterhin die Meinung vertritt, daß eine unvollständige Aussage strafbar sei, möge bitte schweigen oder einen derzeit gültigen Gesetzestext zum Beleg anführen.
Den teils doch sehr sophistischen Überlegungen der Kommentatoren sei die Realität entgegengehalten: Wer nach § 57 StPO von der Polizei belehrt wird glaubt doch, komme er der Wahrheitspflicht nicht nach, sage die Unwahrheit oder nicht vollständig aus, mache er sich strafbar.
BTW: Das glauben auch etliche der Polizisten, die eingangs der Vernehmung belehren.
Zu den Jägerweisheiten kann ich infolge absoluter Inkompetenz diesbezüglich nichts sagen, es sei denn, es handelte sich gar nicht um solche, sondern um Kreißsaalweisheiten (Abbalgen klingt wie ein bemüht witziger Begriff für das Gebären).
Es ist jedoch festzustellen, dass es dem Pudelentkerner anders als dem Gebäudeentkerner nicht auf das Entkernte, sondern auf den Kern ankommt. Insofern dürfte unser Interesse gleichgelagert sein.
Und niemand muss schweigen, weil die Strafbarkeit einer unvollständigen Aussage sich aus einem ganz simplen Beispiel ergibt: A weiß, dass der mittellose B einen Raub nicht begangen hat und nur aufgrund unglücklicher Umstände kurz nach der Tat in der Nähe des Tatorts angetroffen wurde. In der Vernehmung als Zeuge spart A entlastende Aspekte zugunsten des A aus und betont wahre Tatsachen, die die Täterschaft des B nahelegen (Anwesenheit am Tatort, finanzielle Not des A), ohne selber zu lügen, weil er will, dass das Verfahren gegen den A weiter betrieben wird, da er ein Kröschen mit dessen Frau pflegt und sich von einer Haftstrafe für den A längerfristige ungestörte Schäferstündchen mit seiner Gespielin verspricht. Wider besseres Wissen verdächtigt er so konkludent durch unvollständige Aussage den B, um das Verfahren gegen ihn fortdauern zu lassen (bei der Polizei: § 164 (1) StGB, meines Wissens ein derzeit gültiger Gesetzestext; das Verschweigen als Tathandlung der §§153f. StGB ist ebenfalls anerkannt, SK-Rudolphi, vor § 153 Rdn. 26ff.).).
Im Übrigen artikuliert die StPO ja nur die Belehrungspflicht „über die strafrechtlichen Folgen“. Das heißt ja nicht, dass zu belehren ist, dass sich zwangsläufig strafbar macht, wer usw., sondern dass auf die Konstellationen möglicher (!) Strafbarkeit hinzuweisen ist (inkl. Hinweis auf die Zeugenrechte).
Ich finde es gar nicht soooo witzig, dass ein Volljurist letztlich zum Mittel der Polemik greift, weil substantiell die Argumente ausgehen: dafür, dass es hier um eine so genannte strafrechtliche Binsenweisheit geht, finden sich nämlich erstaunlich wenig Mitstreiter für die Verteidung dieser Weisheit. Nun soll gewiss die Befürworterquote nicht die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Annahme beweisen, aber ich meine, ein- bis zweimal etwas von „herrschender Meinung“ o.ä. im Rechtsdiskurs gehört zu haben.
Es ist keine Jägerweisheit und auch kein -Latein. Im Deutschen Wörterbuch findet sich der Eintrag
Unsere Interessen sind wohl gleichgelagert und ich denke, wir sind auch nicht weit auseinander.
Das von Ihnen gegebene Beispiel ist ein gelungenes Beispiel für die seit Reichsgerichtszeiten bestehende Rechtsprechung zur Strafbarkeit des Verschweigens, sofern die verschwiegene Tatsache erkennbar Gegenstand der Vernehmung und entscheidungserheblich ist. Wenn diese Aussage also vor Gericht oder vor einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle von einem Zeugen oder Sachverständigen gemacht wird, ist sie gemäß § 153 StGB strafbar. § 153 StGB erfaßt aber schon dem Wortlaut nach nicht die Aussage vor der Polizei. Davon abgesehen: In Ihrem Beispiel „weiß“ der Zeuge etwas. Nur wenn dies eine Tatsache ist, ist das Beispiel wieder rund.
Mein Beitrag befaßt sich ausdrücklich nur mit der polizeilichen Vernehmung. § 153 StGB ist auf polizeiliche Vernehmungen nicht anwendbar.
§ 164 StGB betrifft nur den Anzeigenden. In Ihrem Beispiel also nur, falls der Zeuge auch die Anzeige erstattete. In der Kommentierung Fischer, RN 4, 61. Aufl. können Sie sich davon überzeugen, daß die Strafbarkeit des Unterlassens nur bei einer Garantenstellung gegeben sein soll.
In Ihrem Beispiel macht sich der Zeuge also nur strafbar falls er die Aussage vor Gericht macht.
Es hat gar nichts mit Polemik zu tun wenn ich verlange, daß jemand mir eine Norm nennt, nach der sich der Zeuge bei einer falschen Aussage vor der Polizei strafbar machen soll. Natürlcih macht er sich strafbar wenn er dem Polizisten anläßlich der Vernehmung die Faust aufs Auge drückt. Natürlich macht er sich strafbar wenn er Strafvereitelung oder dergleichen betreibt. Aber eine falsche Aussage alleine macht ihn nicht zum Straftäter.
Wenn § 164 (1) StGB nur als Anzeigenerstatter bei der Polizei begehbar wäre, machte die Formulierung „ein behördliches Verfahren (…) gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen“ überhaupt keinen Sinn, weil man durch Anzeigenerstattung ein Verfahren nicht fortdauern lassen, sondern nur herbeiführen kann. Insofern bleibe ich bei der Verteidigung der Möglichkeit, sich durch unvollständige Aussage in der Zeugenvernehmung nach § 164 (1) strafbar zu machen, weswegen § 57 S. 1 StPO via § 163 (3) StPO m.E. Gültigkeit hat.
In meinem Beispiel weiß der A von der Unschuld des B (im Übrigen natürlich nur aufgrund einer Tatsache, alles andere wäre ja kein Wissen, im Beispiel von mir aus so:), da er den B, unbemerkt von diesem, zum Tatzeitpunkt bei einer gänzlich anderen Verrichtung und Hantierung als dem Raub gesehen hat. Er könnte dem B also ein Alibi verschaffen, tut dies aber nicht. Damit unterlässt er unecht, und die Garantenstellung ergibt sich eben aus dem Zeugenstatus und der Wahrh(aftigk)eitspflicht, um die es hier die ganze Zeit geht. Wenn darüber keine Einhelligkeit zu erzielen ist, bleiben freilich die übrigen Erörterungen müßig.
Ich weise daher noch einmal auf die Einheit der Rechtsordnung hin. Wozu überhaupt bei der Polizei oder der StA Vernehmungen vornehmen, wenn bis zur Verhandlung jeder Zeuge gequirlte Grütze absondern kann? Dann wären Polizei und StA einzig und allein zur Anzeigenaufnahme und zur Erhebung der Sachbeweise da. Ein Traum der Arbeitsentlastung für die Exekutivorgane.
Und noch eine Frage: Was resultiert denn aus dem Skandal der falschen Belehrung? Wird ein bei Polizei und Staatsanwaltschaft zur Wahrheit „verpflichteter“ und über die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen nach §§ 145d, 164, 257f. StGB belehrter Zeuge etwa genötigt? Verwertungsverbot?
So, jetzt aber ab in die reale Welt! Das Grün der Bäume, kein unbestimmter Rechtsbegriff.
Man könnte die ganzen vorstehenden virtuellen Meter an Kommentar ggflls. fruchtbar ad absurdum führen, indem man behauptet: Eine Wahrheitspflicht des Zeugen besteht überhaupt nie, auch nicht vor Gericht, wie auch überhaupt nie irgendwelche allgemeingültige Verhaltenspflichten bestehen, sondern diese immer nur ex negativo, nämlich nach Unterlassen, festgestellt werden, mit quasi-moralischem Anspruch, als Sonntagsrede vom edlen Gesellschaftstier Mensch, denn faktisch ist eine allgemeingültige Pflicht ein Ideal, das zuschanden wird, so auch nur einer dagegen verstößt. M.E. ist die Ermahnung zur Wahrheit, wie die StPO als formelles Recht sie vorsieht, nur ein verklausuliertes „Halten Sie den Betrieb nicht mit Quatsch auf“ (s. auch hier 11. Kommentar, Lenkungsabsicht der Ermahnung zur Wahrheit) und die Belehrung über die strafrechtlichen Folgen ein „sonst…!“, das auf das materielle Strafrecht verweist. Damit ist es der freien Würdigung des Zeugen überlassen, zu entscheiden, welche Konsequenzen er in Kauf zu nehmen bereit ist, bei Gericht oder sonstwo.
Jens schrieb:
da habe ich in der praxis aber schon ganz andere erfahrungen gemacht.
insbesondere polizeibeamte fragen manchmal allen möglichen unsinn, der zur aufklärung des tatgeschehens, der feststellung des vorliegens straftatbeständen und der sonstigen mit dem vorgang verbundenen sachfragen rein gar nicht zu tun haben.
ich bin schon als anzeigeerstatter in einem betrugsverdachtsfall gegen einen b ehördenmitarbeiter von der polizei gefragt worden in welchen vereinen ich mitglied bin, wo die ihren sitz haben, und ob die sich mitwochs oder donnerstags treffen.
ganz zu schweigen von den üblichen informationssammlungs“verhören“ durch den staatsschutz im zusammenhang mit dem versammlungsrecht.
es gibt immerhin, darauf sei hingewiesen, keine vorschrift, die dies einem polizisten oder staatsanwalt verbieten würde.
Interessante Diskussion zum Thema Wahrheitspflicht des Zeugen. Hier führe ich ebenfalls regelmäßige Diskussionen und vermittle bezüglich der Zeugenrechte und -pflichten immer das dreistufige Verfahren Polizei – StA – Richter. Hier gibt es deutliche Unterschiede und die Polizei ist recht unkomfortabel augestattet. Hier hat m.E. der Zeuge weder eine Erscheinens-, noch eine Auskunfts- oder gar Wahrheitspflicht. Das ist leider so. Ich habe dies hier tabellarisch gegenübergestellt.
http://kriminalwissenschaft.de/Lehrmaterialien/Zeugenpflichten.pdf
Wenn ich als Polizeibeamter den Zeugen darauf hinweise, dass er zur Aussage oder zur Wahrheit bei der Polizei verpflichtet sei, so stellt dies eine Täuschung dar, die ggf. zum Berweisverwertungsverbot führen könnte.
Ich empfehle Formulierungen wie:
„Als Zeuge möchte ich Sie zur Wahrheit ermahnen und darauf hinweisen, dass eine Falschaussage ggf. strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.“ oder
„Wenn Sie Angaben zur Sache machen können, sind Sie gehalten die Wahrheit zu sagen, andernfalls könnten Sie sich ggf. strafbar machen.“
Auf Nachfrage kann man dann erklären inwiedern eine Falschaussage strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.
gut gelöst, herr kommissar. ersetze „verpflichtet“ durch „gehalten“ füge ein „ggf.“ ein – und schon ist die sache in ordnung.
ich wurde kürzlich auf einem revier wie folgt belehrt: „als zeuge haben sie hier gar keine rechte, sie haben eigentlich nur pflichten“.
auf meine nachfrage, worin denn meine pflichten bestehen, wurde mir erklärt, dass ich das ja sicherlich wisse, wenn ich denn schon eine so schöne strafanzeige geschrieben hätte.
nachdem im protokoll dann, in komplexe semantische verdrehungen gepackt, das genaue gegenteil von dem stand, was ich ausgesagt hatte, habe ich es zunächst unterschrieben und dannerst nach abschluss des verfahrens widerrufen. ich kann auch querulanz.
aber seien wir ehrlich, es spricht erst mal nichts dagegen seinen kindern beizubringen, nicht überall nur zu lügen, und wenn ich als anzeigeerstatter nicht kooperiere, dann brauche ich mich auch nciht wundern, wenn meinem anliegen wenig beachtung geschenkt wird.
doch zurück zum thema: wird nicht bei er polizei meist nur mündlich belehrt? das ist ja dann ohnehin wenig wert, und zwar für beide seiten.
§ 57 Strafbewehrung ist falsche Verdächtigung §164StGB und Verleumdung bei der Polizei, das Ganze ist der Straatsanwaltschaft mit Richterhilfe zu überstellen nach § 53 Owig Transmittierung in die gesamte StPO gekoppelt mit dem StGB Die Polizei ist eine Hilfsstaatsanwaltschaft und verbeamtet , dem Gesetz verschworen!“