Mitten in Berlin
[singlepic id=165 w=320 h=240 float=center]
Am Vorabend des 17. Juni springt mir diese Gedenktafel ins Auge.
1952 – Der Text der Gedenktafel entspricht dem Gedankengut der Machthaber.
– Ein Jahr später läßt das ZK auf die Bauarbeiter einprügeln, 48 Menschen werden standrechtlich hingerichtet, darunter 18 sowjetische Soldaten, die sich weigerten, auf die Demonstranten zu schießen. Der Volksaufstand wird beendet.
Was mag aber das Bezirksamt 1999 veranlaßt haben, diese Tafel zu erneuern?
Ist in den Köpfen immer noch nicht Art 1, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes angekommen?:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Anstatt dem Verfassungsauftrag zum Schutz der Grundrechte nachzukommen, wird eine Gedenktafel erneuert, die Menschen die Menschenwürde abspricht.
Diese Tafel muß entweder weg – oder bedarf einer Erläuterung am Ort ihrer Installation.
Wir sind heute nicht in der Lage und wir waren 1999 nicht in der Lage objektiv mit dem Thema 3. Reich umzugehen.
Es geht nicht um das 3. Reich. Mensch ist Mensch. Niemand hat das Recht, einem anderem das Menschsein abzusprechen.
Ich habe da noch den einen oder anderen Mandanten, der mir einen Gefallen schuldet. Soll ich mich darum kümmern? ;-)
Wo ist die Tafel denn? Ich würde mich da an den entsprechenden BVV-Petitionsausschuss wenden.
Sie haben den Adlerblick für das Unwesentliche.
Einspruch Euer Ehren!
Ich finde die Inschrift der Tafel, die i. ü. am Bahnhof Friedrichstraße angebracht ist, prinzipiell gut; wundere mich eigentlich um die hier verlautbarte Empörung.
1. Nun gut, die Formulierung „Hitlerkrieg“ ist sicherlich ein diminutiver Schmeichler. War es nicht so, daß anfangs das ganze verrückt gewordene (?) Volk „geil“ auf den Krieg war?
2. Um in der Formulierung „entmenschlicht“ einen Menschenwürdeverstoß zu erkennen, muß man schon sehr zielgerichtet mißinterpretieren. Ich lese das anders: Ein Menschenwürdeverstoß liegt durchaus in der Handlung oder in dem Prozeß der „Entmenschlichung“. Das Nomen (!) bezeichnet den Vorgang der Differenzierung zwischen verschiedenen Menschen mit dem Ziel, einem Teil aus willkürlichen Gründen das Menschsein abzusprechen. Damit werden würdewidrige Handlungen ex ante legitimiertt. Das Attribut “ entmenschlicht“ dagegen bezeichnet den Vorwurf, jemand verhalte sich unmenschlich, sprich unbarmherzig. Darüber braucht man in diesem Fall ja nicht diskutieren.
3. Juristisch liegt sowieso keine würdewidrige Handlung vor. Wer soll den betroffen sein?
4. Grundsätzlich immer schlechte Laune bei mir verursachend: Vergleiche zwischen 3. Reich und SED-Diktatur. Ebenso die Rede von “ 2 Diktaturen auf deutschen Boden“. Geht gar nicht….
@ Daniel
Nanu, da bin ich aberr erstaunt! Als advocatus diabboli unterwegs?
Schauen wir uns den Text gemeinsam an:
entmenscht ist hier attributiv verwendetes Adjektiv. Es beschreibt die „SS-Banditen“. Es beschriebt sie und nicht ihre Handlungen. Sie sind nach Auffassung derjeningen, die das Schild aufhingen, entmenschlicht. In deren Augen hatten sie keine Menschqualitäten mehr.
Diese Wortbedeutung, die Sie dem Adjektiv beimessen, ist außerhalb meines Sprachverständnisses. Dafür kenne ich die von Ihnen genannten „unmenschlich“, „unbarmherzig“, etc.
Ich sehe hier das Wortpaar: „Mensch – entmenscht“. Nicht das von Ihnen suggerierte „Mensch-Unmensch“.
Und genau darum ging es den Vordenkern (vgl. C. Schmidt): Ein Gebilde aufzubauen, daß es ermöglicht, Menschen aus dem Schutz des Rechtes auszuschließen.
Quote: Ich sehe hier das Wortpaar: “Mensch – entmenscht”. Nicht das von Ihnen suggerierte “Mensch-Unmensch”.
Ich habe mich mal schlau gemacht. Tatsächlich wurde der Terminus „entmenschlicht“ gerade in der SED-Diktatur benutzt, um bestimmten Individuen das Menschsein abzusprechen. Gerade Nazis oder auch imperialistisch-chauvinistische Großbürger womöglich noch mit Immobilieneigentum wurden so etikettiert. Das wußte ich bislang nicht. Insofern ist Ihr Hinweis auf den zeithistorischen Kontext (1952) ganz richtig.
Frage ist aber dann, weshalb ich mir an dieser Plakette nie gestört habe, obwohl ich schon tausende Male an ihr vorbeiging. Nun, beim Lesen dieses Textes habe ich einfach das Bild
kleiner Hitlerjungen vor Augen, die vielleicht den Sowjetpanzer auf sich zukommen sahen und
die Panzerfaust aus Angst weggeworfen haben. Vielleicht hat sich auch jemand getraut zu sagen, daß der Krieg möglicherweise verloren ist, nur weil die rote Armee gerade in Friedrichshain einmarschierte. Daß den SS-Banditen (auch diminutiv, es handelt sich um
Mörder, denn einen wie-auch-immer gearteten Prozeß gegen Fahnenflüchtlinge gab es Anfang Mai 1945 sicherlich nicht) mit dieser Formulierung Unrecht geschehen sein könnte, kann ich aber trotzdem nicht erkennen. Oder, vielleicht besser, ich will es nicht.
Lesen Sie es doch einfach so: Das Verhalten dieser „Banditen“ war einfach nicht menschheitskonform. Es paßt nicht in mein Verständnis vom Menschsein. Wer hier Widerspruch anmelden darf, sind Psychologen (die können noch ganz andere Dinge erzählen, zu was Menschen fähig sind). Aber wenn wir Juristen hier die Wortwahl bemängeln, dann ist das
doch sehr auf political correctness pochend.
Quintessenz: Sie haben recht. Ihre grammatikalische Analyse ist richtig. Ihr historischer Verweis ist korrekt. Ihre Mahnung hat hehre Motive. Und… es nervt!!! ;-)
@ Daniel:
Ich will nerven!
Und ganz pathetisch: Ich weiß warum es Sie nervt! Im Gegensatz zu Andreas (Post 7) wissen wir beide, daß wir alle verloren sind, wenn wir auch nur billigend in Kauf nehmen, daß irgendeinem der übelsten Verbrecher sein Menschsein genommen werden soll.
Mea Culpa!
Ich nehme alles, aber auch alles zurück! Frau Stefanie Gladel, meine allerhöchste Autorität, gibt Ihnen bedingungslos recht und hat sich bereits beim ersten Lesen dieser Plakette an dem Wort gestört. Debatte beendet… ;-)