Eins = Viele?

Jeder Strafverteidiger kennt das: Die Presse berichtet und der Verteidiger fragt sich, ob er am selben Prozeß wie die Journalisten teilgenommen hat.

Das diesbezügliche Highlight erlebte ich vor ein paar Tagen. Der Prozeß begann mit einem zuvor von mir angekündigten Befangenheitsantrag. In einer Verhandlungspause schleicht sich ein älterer Herr zum Staatsanwalt und bespricht etwas mit ihm. Er hat einen Block in der Hand und macht sich fleißig Notizen.

Am nächsten Tag beginnt ein Zeitungsbericht vorwurfsvoll mit der Mitteilung, daß sich die Berufsrichter zum Prozeßbeginn mit mehreren Befangenheitsanträgen auseinandersetzen mußten. Der Rest des Berichtes war ebenfalls überwiegend unrichtig.

Da kann der Typ noch nicht einmal zählen. Selbstverständlich hat er sich auch nicht mit einem der Verteidiger unterhalten. Und auf meinen Vorwurf an einem der nächsten Verhandlungstage, daß er wohl Schwierigkeiten mit dem Zählen habe antwortete er, mit mir würde er nicht diskutieren.

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6 Kommentare
  1. malnefrage
    malnefrage sagte:

    Bei den Nicht-Käseblättern läuft es dann umgekehrt und der Starreporter lässt sich exklusiv von der Verteidigung soufflieren, dass hier offensichtlich ein Unschuldiger verurteilt werden soll etc. Siehe z.B. die journalistische Meisterleistung der Süddeutschen Zeitung (lange vor dem Ende der Beweisaufnahme und vor dem Urteil) „Ein Mord, der keiner war“

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    • RA Jede
      RA Jede sagte:

      So oder so ist es übelster Journalismus. Ich will weder das eine noch das andere. In vielen Bereichen kann ich die Qualität eines Beitrages beurteilen, in den meisten fehlt mir die Kompetenz. Wenn einer aber micht mal zwischen eins und mehreren unterschieden werden kann brauche ich keine Zeitung mehr.

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  2. D.
    D. sagte:

    In dem Zusammenhang habe ich allerdings schon schlimmeres gelesen. Der dortige Redakteur hat nun immerhin auch im Ansatz die andere Sicht der Dinge beleuchtet. Die BILD hätte das nicht getan.

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