Beratung vor Regress – auch für Altfälle!
Man könnte meinen, eindeutiger geht es nicht: Der Gesundheitsminister zieht durch die Lande und verkündet stolz vor Ärztevertretern bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass er die Regelung Beratung vor Regress durchgesetzt hat und diese auch für Altfälle gilt. Der Gesetzestext des § 106 Abs. 5e SGB V ist eindeutig:
Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. … Dieser Absatz gilt auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.
Die Gesetzesbegründung in der Bundestags-Drucksache 17/10156 Seite 95 lässt ebenfalls keinen Zweifel offen:
Klarstellung zur Rechtslage. Der Grundsatz „Beratung vor Regress“ gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des GKV-VStrG am 01. Januar 2012 für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien – auch soweit sie zurückliegende Zeiträume betreffen. Die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss können seitdem keinen Erstattungsbetrag mehr festsetzen, wenn nicht zu dem früheren Prüfzeitraum die gesetzlich vorgeschriebene individuelle Beratung der Vertragsärztin oder des Vertragsarztes erfolgt ist. Insoweit haben die Prüfgremien das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht anzuwenden. Zudem scheidet die Festsetzung eines Erstattungsbetrages für Prüfzeiträume aus, die vor der tatsächlichen Beratung liegen, weil der Zweck der Vorschrift, einer wiederholten Überschreitung des Richtgrößenvolumens durch individuelle Beratung vorzubeugen, nur mit der Möglichkeit zur Anpassung des Verordnungsverhaltens in den nachfolgenden Prüfzeiträumen erreicht werden kann. Für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes Widerspruchsverfahren gilt die Neuregelung nicht, auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist.
Dennoch halten es einige Kassenvertreter und Beschwerdeausschüsse immer noch für opportun, die Auffassung zu vertreten, die Regelung Beratung vor Regress gelte nicht, etwa weil es sich nicht um die erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens bei dem betreffenden Vertragsarzt handelt, obgleich zuvor noch keine Beratung stattgefunden hat, oder weil die Regelung auf alteingesessene Vertragsärzte nicht anwendbar sei, weil Sinn und Zweck der Regelung allein sei, Berufsanfänger zu schützen.
Als Rechtsanwalt wundert man sich über derart freie Rechtsfindung, erwartet man doch, dass die Prüfgremien sich an Gesetz und Recht hielten. Diese Rechtsauffassungen contra legem können allenfalls dazu dienen, betroffene Vertragsärzte einzuschüchtern und zu ungünstigen Vergleichen zu drängen. Und/oder sie offenbaren möglicherweise eine aus Wunschdenken geborene nahezu pathologische Beharrlichkeit gegen die zum 01.01.2012 erfolgte Gesetzesänderung.
Ausnahmsweise ist insoweit auch einmal die Rechtslage an Klarheit und Eindeutigkeit nicht zu überbieten, so dass man jedem Vertragsarzt nur raten kann, sich nicht einschüchtern zu lassen. Notfalls müssen die Gerichte ran. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 19.02.2013 – L 5 KA 222/13 – und das SG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 03.04.2013 – S 2 KA 281/12 – entschieden, dass es unzweifelhaft ist, dass alle am Jahresende 2011 noch offenen Verfahren der Richtgrößenprüfung dem Grundsatz Beratung vor Regress unterfallen, es sei denn, das jeweilige Verfahren war am Jahresende 2011 vor dem Beschwerdeausschuss bereits abgeschlossen.
Der Verfasser, Rechtsanwalt Andreas Schulze, ist Partnerschaftsgesellschafter der Rechtsanwälte Dr. Schmitz & Partner in Berlin und bearbeitet die vertragsarztrechtlichen Angelegenheiten.
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