Eskalation im Straßenverkehr

Die besten Freunde sind Auto- und Fahrradfahrer bekanntermaßen nicht.

Das AG Bremen (Urteil vom 17.04.2014, 10 C 212/13) hatte eine zwischenmenschliche „Meinungsverschiedenheit“ zwischen diesen Verkehrsteilnehmern auf dem Tisch.

In Zukunft sollten Sie im Straßenverkehr beachten (Leitsätze der Entscheidung):

1. Es besteht kein Verfolgungsrecht des Autofahrers gem. § 127 StPO nach einem „Beinaheunfall“ mit einem Fahrradfahrer, wenn offensichtlich kein Schaden entstanden ist.

2. Es besteht ein Mitverschulden gem. § 254 BGB des Autofahrers, wenn sich dieser nach einem „Beinaheunfall“ dem Fahrradfahrer in den Weg stellt und beide anschließend rangelnd auf dem Boden liegen.

3. Es wirkt sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes reduzierend aus, wenn der Gläubiger selbst nicht deeskalierend auf die Situation einwirkt, sondern im gleichen Maße wie der Schuldner auf dessen Pflichtverletzung reagiert.

Teuerste EGVP-Anwendung aller Zeiten

So'n Pech aber auch! Unbeschreibliches Grauen packt mich ob der Haftung der Anwälte:

Die Beschwer der Klägerin beträgt 69.939.698 €.

Worum geht’s?

Am 15.3.2013 haben die anwaltlichen Vertreter der Kl. ihre Berufungsbegründungsschrift an das Elektronische Gerichtspostfach (EGVP) des OLG Düsseldorf gesandt. Das Schriftstück ist auf dem zentralen Eingangsserver für das EGVP (Intermediär) eingegangen. Von dort haben die Prozessbevollmächtigten der Kl. umgehend eine automatisiert erstellte Eingangsbestätigung erhalten, die (u.a.) das Eingangsdatum und die Uhrzeit des Eingangs auf dem Server ausweist.

Wo ist das Problem, ist doch perfekt gelaufen?

Nein, überhaupt nicht gut gelaufen. Denn die Landesregierung hat noch nicht durch Rechtsverordnung bestimmt, daß das OLG Düsseldorf am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt. Gleichwohl unterhält das Gericht bereits ein EGVP-Postfach, und für dort eingereichte Schriftstücke wird die Eingangsbestätigung (s.o.) versandt.

Die Berufungsbegründungsschrift ist damit nicht rechtzeitig beim OLG Düsseldorf eingegangen. Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Prozeß ist verloren.

Die Frankfurter Kanzlei ist – wie wir – gewohnt, ihre Schriftsätze mittels EGVP zu versenden. In den meisten Bundesländern ist das unproblematisch, in einigen kann man die Gerichte nicht über das EGVP erreichen. Tückisch für die Mitarbeiter der Kanzlei war, daß man im System der Kanzlei und dem EGVP-Client den Adressaten OLG Düsseldorf anwählen konnte (und immer noch kann):

EGVP_Duss

Also eine böse Falle: Der Anwalt macht alles fertig, die Angestellte stellt den Schriftsatz in das EGVP ein, der Anwalt signiert mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur den Schriftsatz und die Angestellte versendet es an das OLG und erhält eine Eingangsbestätigung. Die Frist wird als erledigt gestrichen. In diesem Fall ist die Frist versäumt, der Prozeß verloren und die Kanzlei haftet für den daraus entstanden Schaden der Klägerin.

Die Kanzlei versuchte noch einen Wiedereinsetzungsantrag, den das OLG Düsseldorf mit Urteil v. 24.07.2013 – VI-U (Kart) 48/12 verworfen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß es Sache des Anwaltes ist, sich über den Weg des Versandes zu versichern und dies nicht an das Personal delegiert werden darf:

An die Auswahl eines neuen Übermittlungsweges für die Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift sind keine geringeren Anforderungen zu stellen. Auch sie gehört zum nicht delegierbaren Kernbestandteil der anwaltlichen Tätigkeit und erfordert die vorherige rechtliche Prüfung, ob der in Aussicht genommene Übermittlungsweg verfahrensrechtlich zugelassen ist.

Technik des Grauens.

Da bleibt mir auch die Häme gegen Großkanzleien im Halse stecken. Ob die wohl, wie so viele Großkanzleien, eine Haftungsbeschränkung vereinbart haben?

Juristisch betrachtet

Ich schätze die Kommentare von Marcel Fürstenau auf der Deutschen Welle. Aber das hier verlangt nach Richtigstellung[1]:

Die von Zschäpes Verteidigern gewählte Prozess-Strategie des absoluten Schweigens mag aus deren juristischer Perspektive plausibel sein, mitfühlend ist sie jedoch keinesfalls.

Woher wissen Sie, daß es die von den Verteidigern gewählte Strategie ist? Bei uns entscheiden die Angeklagten über die Strategie. Selbstbestimmt. Nach ausführlicher Erörterung mit den Verteidigern. Darf sich der Rechtsstaat Verfahren leisten, die Ihren Wünschen um Mitgefühl entsprechen? Würden Sie eine Verteidigerin wählen, die das Mitgefühl zur Maxime erklärt und Ihnen abriete, vom Schweigerecht, dem existentiellen Grundrecht des Angeklagten, Gebrauch zu machen?

Natürlich ist es ihre professionelle Pflicht, das Beste für ihre Mandantin herauszuholen. Aber unausgesprochen den Eindruck zu erwecken, Zschäpe könnte unschuldig sein, wirkt angesichts der erdrückenden Indizien- und Beweislage fast schon erschreckend.

Es gibt keine professionelle Pflicht, das Beste für die Mandantin herauszuholen. Es gibt die unabdingbare Pflicht, die Rechte der Mandantin zu wahren und zur Geltung zu bringen – wenn sie es will. Ich hoffe, die Verteidiger sprechen das auch aus, daß jeder Angeklagte bis zur rechtskräftigen Verurteilung unschuldig ist. Das dürfte doch wohl Allgemeingut sein? Und wieder: Würden Sie eine Verteidigerin wählen, die während der Verhandlung den unausgesprochenen Eindruck erweckt, Sie seien schuldig – obwohl Sie von Ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht zur Sache einzulassen?

Besonders erschreckend:

Niemand kann Zschäpe dazu zwingen, sich selbst zu belasten. Ihre Verteidiger könnten sie dazu bewegen, tun es aber leider nicht.

Wenn ich mir Protokolle aus unserer dunklen Geschichte anschaue, gab es schon einmal Verteidiger, die das taten. Und wieder: Möchten Sie eine Verteidigerin, die Sie dazu bewegt, sich selbst zu belasten? Welch ein Alptraum!

Juristisch betrachtet geht es einzig und allein um den Nachweis und die Bestrafung individueller Schuld

Wieso diese Einschränkung: „Juristisch betrachtet“? Als wäre die Juristerei ein Paralleluniversum. Es geht einzig und allein um den Nachweis und die Bestrafung individueller Schuld! Um nichts anderes! Die Juristerei ist dafür das Werkzeug, die Wissenschaft, um den richtigen Weg zu erkennen. Der Weg ist Gesetz!

Und unsere Gesetze haben, Gott sei Dank, christliche Wurzeln:

Ursprünglich ist ‚Gesetz’ nicht ein juristischer Begriff, der auf Verhaltensweisen und Haltungen ausgerichtet ist, sondern ein theologischer Begriff, den die Bibel selber am besten wiedergibt mit dem Wort „Weg“ (hebräisch derek, griechisch hodos): ein Weg, der angeboten wird.[2]

  1. [1]Die Zitate, soweit nicht anders vermerkt, entstammen: NSU-PROZESS, Kommentar: Ein Jahr quälende Wahrheitssuche, Marcel Fürstenau, 06.05.2014 DW
  2. [2]Päpstliche Bibelkommission, Bibel und Moral, Biblische Wurzeln des christlichen Handelns, RN 5

Azubi-Austausch mit London

Unser Auszubildender[1] war vier Wochen in London, lebte bei einer englischen Familie und hospitierte in einer Londoner Kanzlei.

Selbstverständlich hat er Geschenke mitgebracht. Obwohl, selbstverständlich ist das nur für diejenigen, die ihn kennen.

Über die Auswahl des Geschenkes für mich (Bierdeckel) komme ich allerdings ins Grübeln:

Photo Bierdeckel

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  1. [1]Kein Generisches Maskulinum, er ist männlichen Geschlechtes. Siehe zum Generischen Femininum: WikiMANNia

Sie werden abgehört

Die Telekom gab Auskunft über die richterlich (was nicht gesetzmäßig heißt) genehmigte Schnüffelei. Die Telekom ist bekanntlich nur eine der deutschen Telephongesellschaften.

  • 49.796 Anschlussüberwachungen
  • 436.331 Verkehrsdatensätze
  • 28.162 Teilnehmerbestandsdaten
  • 946.641 IP-Adressinhaberdaten

Wenn wir nur die erste Zahl nehmen: 50 tausend überwachte Telephonanschlüsse im Jahr 2013. Das sind ja nun nicht nur die Anschlußinhaber, deren Gespräche aufgezeichnet werden. Die Anschlüsse werden auch von den Ehemännern genutzt, den Kindern, – geschäftliche Anschlüsse von den Kolleginnen.

Und da wohl kaum jemand das Telephon für Selbstgespräche nutzt, wird auch das Gespräch des zweiten Teilnehmers einer solchen Verbindung aufgezeichnet.

Wieviele Personen rufen Sie im Verlauf eines Vierteljahres an? Es gibt einige, die Sie regelmäßig anrufen, andere, wie die Schwiegermutter, ruft Ihr Mann häufiger an.

Und die Angerufene kann sich in der Regel nicht aussuchen, von wem sie angerufen wird :-)

Gehen wir von 50 verschiedenen Personen aus, so sind zumindest 51 Personen von den TKÜs betroffen, mit jeder weiteren Nutzerin des Anschlusses …

50 mal 50.000 Anschlüsse sind … – allein bei der Telekom.

Da läuft doch wohl was aus dem Ruder?

Ich bewundere ja die Richter, die die Anträge nach § 100a StPO ordentlich prüfen. Ich habe das tatsächlich schon erlebt, ehrlich!

Allein die Zahlen der Telekom bestätigen: Harry Potter ist keine Fiktion, bei uns arbeiten Zauberer in schwarzen Roben im Dienst der Gerechtigkeit! Die paar Ermittlungsrichter, die es bei uns gibt, prüfen jeden der Anträge nach den strengen Vorgaben des Gesetzes und des Bundesverfassungsgerichtes! Und an den vielen kleinen Amtsgerichten macht das die Allround-Richterin zwischen zwei Terminen.

Rechnen Sie doch mal selbst: Vernachlässigen Sie die anderen Zahlen, nehmen Sie nur die 50.000 Anschlußüberwachungen. Dafür vernachlässigen wir die Tatsache, daß in vielen Beschlüssen die Überwachung mehrerer Anschlüsse angeordnet wird. Eine halbe Stunde für jeden Beschluß ist echt knapp …

Und das sind nur die Zahlen der Telekom.