Wenn es doch nur so einfach wäre
Aus meiner Reihe Jounalistenbeschimpfung nachfolgend Gedanken zum Beitrag in der Welt v. 22.06.2014 „Enormes Qualitätsgefälle bei deutschen Rechtsanwälten“ von Joachim Wagner, der seit Tagen die Anwälte beschäftigt.
Am Beispiel eines „schwarzen Schafes“ wird der Niedergang der Anwaltschaft beschrieben. So weit, so nicht gut! Lassen Sie mich einige der Aussagen hinterleuchten.
Durchschnittlich 27 Prozent der Absolventen bestehen das zweite Examen mit „ausreichend“ und haben aufgrund des Überangebots von Juristen auf dem Markt keine Chance. In einigen Bundesländern sind es sogar 40 Prozent. Die meisten von ihnen haben keine Alternative zum Anwaltsberuf, können zum Beispiel nicht Richter werden.
Hier wird eine Korrelation zwischen Examensnoten und Marktchancen behauptet aber nicht belegt. Ich bin im Vorstand der Rechtsanwaltskammer derzeit in der Abteilung zuständig, die für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zuständig ist und habe jeden zweiten Tag die Zulassungsakten mit den Zeugnissen und Lebensläufen der Bewerber auf dem Tisch. Selbst die großen Anwaltsfabriken stellen Berufsanfänger mit „schlechten“ Noten ein. Warum? Die Bewerber stechen aus der Masse durch qualifizierende Besonderheiten heraus. Promotion, Auslandsaufenthalte, Fremsprachen, Veröffentlichungen, etc.
Wie das? Schlechte Noten und Promotion? Ja. Die Promotionsordnungen sind sehr unterschiedlich und der Dr. muß kein Dr.iur. sein.
Und schlechte Noten sind sehr sehr relativ. Schauen Sie sich ‚mal die Statistiken des Bundesministeriums der Justiz an. Beispielsweise 10 Jahre alte Zahlen (2004, damals war alles besser!)
- Erstes Staatsexamen
- knapp 13.000 geprüfte Kandidaten
- nur 74 % haben bestanden. Also eine Bestenauswahl!
- von den knapp 10.000 Bestandenen haben nur 25 mit „sehr gut“ bestanden!
- Diese 25 verteilen sich auf acht Bundesländer, in den anderen gab es kein „sehr gut“
- 2.7 % haben mit gut bestanden[1]
- Bei Juristen gibt es die Besonderheit, daß es eine Notenstufe mehr gibt: „voll befriedigend“ und „befriedigend“
- „voll befriedigend“ haben nur 13 % der geprüften Kandidaten erreicht, „befriedigend“ 27,6 %
- „ausreichend“ 30,9 %
- Zweites Staatsexamen (Richterexamen)
- von den ca. 11.000 geprüften Juristen haben nur 85 % das Examen bestanden.
- nur 8 mit der Note „sehr gut“ aus nur vier Bndesländern.
- 2.2 % „gut“, 15,8 % „vollbefriedigend“, 35,7 % „befriedigend“ und 31,7 % „ausreichend“
Im Großen und Ganzen hat sich in den letzten 20 Jahren an den Statistiken nichts geändert. Mit fortschreitender Berufserfahrung wird die Examensnote immer irrelevanter – wenn sie denn überhaupt etwas über die Qualität der beruflichen Arbeit aussagt. Ich kenne viele Kollegen – und – deren Kennzahlen und Examensnoten. Ich hatte noch nie den Eindruck, daß die erfolgreichen Kollegen überdurchschnittlich gute Examensnoten haben.
Der Autor hat auch diverse Vorschläge, der Reihe nach:
Dagegen helfen nur höhere Zulassungsbeschränkungen an juristischen Fakultäten und eine zweite, praktische Ausbildungsphase, die auf die verschiedenen Sparten juristischer Berufe vorbereitet und in der Richter, Anwälte oder Verwaltungsjuristen qualifiziert werden.
Dass Thema ist nun wirklich durch, das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen klargestellt, daß der Berufszugang nicht derart beschränkt werden darf. Zu viel verlangt von einem Journalisten, daß er das recherchiert oder zumindest nach numerus clausus googelt und zur gleichnamigen Entscheidung des BVerfG gelangt? Sechs, setzen!
Und der Vorbereitungsdienst nach dem Ersten Staatsexamen, das Referendariat, ist genau das, was der Autor fordert.
Es werden zahlreiche (angebliche) Mißstände aufgelistet, u.a.:
Besonders groß ist die Klagefreudigkeit in Ostdeutschland. In Sachsen klagen Hartz-IV-Empfänger dreimal so häufig wie in Nordrhein-Westfalen. Die Motoren, die diese Maschinerie am Laufen halten, sind Anwälte. In Thüringen hat der Rechtsanwalt … 2010 sage und schreibe 6300 Widersprüche eingelegt und 5300 Klagen erhoben. Um sich gegen diese Widerspruchs- und Klagewelle eines einzigen Anwalts zu stemmen, haben das betroffene Jobcenter bis zu zehn Mitarbeiter und das Sozialgericht Nordhausen bis zu zehn Richter zusätzlich eingesetzt.
Was will er uns damit sagen? Es wäre besser gewesen, staatlicherseits die Ressourcen in die Entscheidung der Anträge der Hartz-IV-Empfänger zu stecken, anstatt in die Abwehr der Klagen, von denen nahezu jeder zweiten stattgegeben wird und nur ca. 10 % abgewiesen werden? (WELT v. 20.05.2013)
Wie sieht die Lösung des Herrn Redakteurs aus: Nein, sehr geehrter Hartz-IV-Empfänger, ich mach die Klage nicht, das rechnet sich nur bei massenhafter Betreibung? Oder noch gemeiner (jedenfalls für die Gerichte und Behörden): Der Anwalt drückt dem potentiellen Mandanten einen vorbereiteten Zettel in die Hand, der alle Formalien der Klage enthält und fordert ihn auf, die Begründung selbst zu schreiben, es ist ja sowieso egal, wie die Klage begründet ist, sie wird sowieso Erfolg haben? Das Gejaule der Gerichte und Agenturen möchte ich nicht hören, wenn die Zustellungen an den Kläger selbst erfolgen müssen und sie sich mit dessen Argumenten auseinander setzen müssen, zumindest lesen müssen. Ich denke, die Gerichte sind in den beschriebenen Fällen, Standard-Fällen, dankbar, daß die Klagen nicht besonders begründet werden. Das würde weiteren Aufwand bedeuten, der angesichts des notwendigen Procederes nur aufhalten würde.
Dann kriegt die Anwaltsgerichtsbarkeit ihr Fett weg:
Anwaltsgerichtsbarkeit? Ein zahnloser Tiger
Was ist zu tun? Die Anwaltschaft sollte die Diskussion über Ethik-Richtlinien wieder aufnehmen, um sich einen Kompass zu geben. Zwar hat sich das Anwaltsparlament 2011 gegen einen Kodex ausgesprochen, aber das war offenbar eine Funktionärsentscheidung, die im Widerspruch steht zur anwaltlichen Basis. Denn nach einer empirischen Umfrage[2] befürworten 77 Prozent der Anwälte berufsethische Richtlinien. Es ist nicht einzusehen, warum sich Banken und Unternehmen freiwillig Professional-Governance-Regeln für gute Unternehmensführung unterwerfen, die Advokatur hingegen nicht.
Funktionärsentscheidung – das ist was Schlechtes!
Genauso schlecht wie der Gesetzgeber! Entscheidung demokratisch legitimiert = Funktionärsentscheidung. Was für ein Demokratieverständnis?
Aber vielleicht beschäftigt sich der Herr Journalist auch mit den möglichen Gründen dieser Entscheidung, mit der breit geführten Diskussion, beispielsweise bei uns veröffentlicht: hier?
Mit Verlaub, Herr Wagner, ich möchte mich nicht mit Banken und Unternehmen vergleichen lassen. Noch bin ich unabhängiges Organ der Rechtspflege, besonderen Regeln unterworfen, die mir den Wettbewerb mit Banken und Versicherungen – aus guten Gründen – nicht gestatten. Aber Ihnen ist insofern Recht zu geben, als die Tendenzen dahin gehen, den Beruf völlig frei zu geben. Ich werde damit leben können, wahrscheinlich erfolgreicher als mit den „Behinderungen“ meines Berufsrechts. Der Rechtsstaat auch? Wenn Sie mir die paar noch verbliebenen Rechte nehmen, können Sie mich auch nicht mehr den Beschränkungen des Berufsrecht unterwerfen.
Das Beste kommt zuletzt:
Die Disziplinargerichtsbarkeit bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, Architekten und Heilberufen ist schon vor Jahren den Straf- beziehungsweise Verwaltungsgerichten übertragen worden. Allein die Anwaltschaft hat bisher das Privileg verteidigt, über ihre Mitglieder selbst zu Gericht zu sitzen. Diese Sondergerichtsbarkeit sollte abgeschafft und der Strafjustiz übertragen werden. Denn die Anwaltsgerichtsbarkeit, die die Einhaltung des Berufsrechts durchzusetzen hat, war bisher ein zahnloser Tiger. Solange Anwälte oder eine Mehrheit von Anwälten über Kollegen zu Gericht sitzen, stehen sie im Verdacht, nach dem Prinzip zu handeln: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.[3]
Wenn Sie schon selber nicht in der Lage sind, Ihre Behauptungen zu überprüfen, gibt es keine Fachleute, die Sie fragen können? Oder wollen Sie die nicht bezahlen?
Kontrollfrage vorweg: Meinen Sie, es dient der Unabhängigkeit der Rechtsanwälten von staatlichen Institutionen – dem Herausstellungsmerkmal der deutschen Anwaltschaft – wenn der Richter, den ich erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt habe, über mich zu Gericht sitzt? De facto tut er es schon. Aber ist das gut?
Die wirklich wichtigen Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer stehen zur Überprüfung durch die Anwaltsgerichtshöfe. Diese sind mit fünf Richtern besetzt, darunter zwei Richtern des jeweiligen Oberlandesgerichtes. Deren Entscheidungen können vom Bundesgerichtshof überprüft werden, dessen Anwaltssenat ebenfalls aus Anwälten und Richtern besetzt ist.
Nichts anders gilt bspw. für die Berufsgerichte der Heilgerichtsbarkeit, die sich aus Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern aus den Berufsgruppen der jeweiligen Heilberufe zusammensetzen. Ich habe das jetzt nicht für die anderen freien Berufe überprüft, vermute jedoch dort ähnliche Regelungen. Ihre Behauptung ist schlicht falsch!
Die Anwaltsgerichtsbarkeit ein zahnloser Tiger? Ja, genauso wie die sonstige Gerichtsbarkeit auch. Denn auch für die Anwaltsgerichtsbarkeit gilt der Grundsatz, daß sie nur gesetztes Recht anwenden darf. Und die Entscheidungen werden nicht selten aufgehoben. Häufig vom Bundesverfassungsgericht! Die Kammern dürfen sich dann durchlesen, daß sie die Einhaltung von Regeln fordern, die keine gesetzliche Grundlage haben.
Wer lesen kann, soll lesen. Die Entscheidungen sind für jedermann leicht zu recherchieren. Na ja, offensichtlich nicht jedermann.
Nocheinmal: Die Situation von Anwälten und den anderen freien Berufen unterscheidet sich dadurch, daß viele Anwälte regelmäßig vor Gerichten auftreten. Die Stellung des Anwaltes bringt es mit sich, daß anläßlich der Vertretung der Mandanten Konflikte mit den Gerichten im System angelegt sind. Den Gerichten dann die berufsrechtliche Kontrolle zu übergeben, ist mit dem Konzept der freien Advokatur nicht vereinbar. Also bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!
Ich habe es daher immer als falsch empfunden, wenn Anwälte dem Richterdienstgericht angehören.