Stillstand der Rechtspflege beim LG Berlin

Stillstand? Wir haben am 31.07.2019 eine Klage beim Landgericht Berlin, Dienststelle Tegeler Weg eingereicht.

Am 20.08.2019 erhalten wir auf Nachfrage die Auskunft, daß die Erfassung der Klage noch nicht erfolgt sei und dies auch noch ca. 3 1/2 Wochen dauern werde. Die Eingangsregistratur sei nur mit zwei Personen besetzt und zur Zeit sei man mit den Eingängen vom 08.07.2019 beschäftigt.

Alle unsere Versuche die Erfassung zu beschleunigen, sind gescheitert.

Auf unsere Dienstaufsichtsbeschwerde an den Präsidenten des Landgerichtes läßt die Behörde sich entschuldigen und erklärt dies wie folgt:

  • Die Umstellung auf die Fachsoftware forumSTAR im November 2018 hat zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt:
  • Eine routinierte Anwendung der Software, die eine ähnliche Verarbeitungsgeschwindigkeit wie zuvor gewährleistet, wird von den Mitarbeitenden aktuell nach und nach erreicht. Regelmäßig auftretende technische Schwierigkeiten, deren Behebung sich schwierig gestaltet, behindern diese Lernprozesse jedoch immer wieder.

  • Die Klageeingänge am Ende des letzten Jahres vervielfachten sich enorm [1].

Selbstverständlich weiß die Senatsverwaltung von diesen unhaltbaren Zuständen. Das Landgericht zitiert:

Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zeigte sich zuversichtlich, dass „auch die personelle Verstärkung der Justiz in den kommenden zwei Jahren zu einer nachhaltigen Entlastung im Bereich des Servicepersonals führen wird, so dass die Klageverfahren am Landgericht Berlin wieder in angemessener Zeit erfasst werden.“

Weiter schreibt uns das Gericht:

Der Abbau der Bearbeitungsrückstände wird fortwährend vorangetrieben, gestaltet sich jedoch mühsam. Ein effektiver Personalzuwachs konnte bisher nicht verzeichnet werden. Enge Kontrollmechanismen sind eingeführt und selbstverständlich werden alle Möglichkeiten einer geänderten Organisation und Struktur geprüft und soweit möglich umgesetzt.

Diese Mißstände sind der Justiz und der Regierung seit Jahren bekannt. Schon vor Jahren haben wir auf diesen Stillstand der Rechtspflege verwiesen

Und die Kleine Anfrage von Cornelia Seibeld „Der 31.12. kommt für die Berliner Gerichte offenbar immer wieder überraschend“ wurde schon seinerzeit sehr zynisch beantwortet:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes trifft die Partei bzw. ihren Prozessbevollmächtigten allerdings die Pflicht, binnen angemessener Frist wegen einer ausstehenden Vorschussanforderung nachzufragen (Urteil vom 29. Juni 1993 – X ZR 6/93: binnen drei Wochen).

Das dokumentiert das jahrelange Desinteresse der Politik an einem funktionierendem Gerichtsbetrieb. Vor 8 Jahren haben wir das als Rechtswegverweigerung bezeichnet.

  1. [1]das ist nun mal immer so am Ende eines Jahres und hat nicht unwesentlich mit dem Verjährungseintritt am Ende eines jeden Jahres zu tun

Anwaltsgerichtshof Berlin ohne beA-Zugang

Anwälte müssen das beA nutzen

Jeder Rechtsanwalt ist gesetzlich verpflichtet, die für die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen. So bestimmt es § 31a Abs. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO).

Ab 2022 müssen Anwälte die Schriftsätze und Dokumente elektronisch einreichen.

Über diese Verpflichtungen wurde und wird heftig gestritten.

Gerichte sind für den elektronischen Rechtsverkehr erreichbar

Mittlerweile sind auch alle Gerichte elektronisch erreichbar. Wirklich alle?

Alle Gerichte der Zivil-, Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind nach dem ERV-Gesetz für den elektronischen Rechtsverkehr geöffnet. Wirklich alle?

Die Anwaltsgerichtshöfe lassen sich nicht unter die oben aufgeführten Gerichtsbarkeiten subsumieren, vgl. unseren Beitrag „Die Tücken des elektronischen Rechtsverkehrs auch mit beA“.

Der Anwaltsgerichtshof steht einem Oberverwaltungsgericht gleich, behauptet jedenfalls § 112c BRAO. Nach dieser Vorschrift gelten auch die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für das gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen entsprechend. Damit gilt auch, und zwar uneingeschränkt, § 55a Abs. 1 VwGO.

Die Vorschrift bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze etc. als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden können.

Gerichtshof der Rechtsanwälte ist nicht für den elektronischen Rechtsverkehr erreichbar

Versuchen Sie nicht, den Anwaltsgerichtshof Berlin in den elektronischen Verzeichnissen zu finden. Es wird ihnen nicht gelingen. Der Anwaltsgerichtshof Berlin hat keinen Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr.

Das muss man sich nicht nur als Anwalt auf der Zunge zergehen lassen. Die Anwälte werden gezwungen, beträchtlichen Aufwand für den elektronischen Rechtsverkehr zu betreiben und die Gerichtsbarkeit der Rechtsanwälte übt Enthaltsamkeit.

Versuchen sie bloß nicht, den Anwaltsgerichtshof über das im selben Gebäude befindliche Kammergericht zu adressieren! Zwar leitet das Kammergericht freundlicherweise die für den Anwaltsgerichtshof bestimmten Schriftstücke weiter. Damit sind jedoch die Fristen gegebenenfalls nicht gewahrt. Das Haftungsrisiko ist erheblich!

Ob es wohl einen Amtshaftungsanspruch gibt, weil das Gesetz nicht umgesetzt worden ist?

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Selbstlseseband

Beistand

Das hat der Richter aber auf den Punkt gebracht:

Vor dem Hintergrund der gegebenen Sach- und Rechtslage und bei Inblicknahme der (anstehenden) Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls und der im zugehörigen Referentenentwurf[1] des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgeschlagenen Anpassungen nationaler Vorgaben betreffend die Bestellung eines notwendigen Rechtsbeistandes für Verfolgte in Auslieferungssachen war Rudi Sorglos der von ihm benannte Rechtsanwalt als Beistand für das Auslieferungsverfahren zu bestellen (§§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG i.V.m.141 Abs. 4 StPO).

Ich kann mir nicht helfen, dieser Kanzleistil erinnert mich doch sehr an Ludwig Reiners Definition des Reichsgerichtes, mit der er auf die berühmte Definition der Eisenbahn reagierte:

Was ist ein Reichsgericht? Ein Reichsgericht ist eine Einrichtung, welche dem allgemeinen Verständnis entgegenkommen sollende, aber bisweilen durch sich nicht ganz vermeiden haben lassende, nicht ganz unbedeutende beziehungsweise verhältnismäßig gewaltige Fehler im Satzbau auf der schiefen Ebene des durch verschnörkelte und ineinander geschachtelte Perioden ungenießbar gemachten Kanzleistils herabgerollte Definitionen, welche das menschliche Sprachgefühl verletzende Wirkung zu erzeugen fähig sind, liefert.

Wir wissen nicht, was der freundliche Richter am OLG empfiehlt. Wir empfehlen für den Kanzleistil unter Anwälten unseren alten Beitrag: Kanzleistil

 

  1. [1]Mittlerweile gibt es schon den Regierungsentwurf, nachdem die Umsetzungsfrist nicht eingehalten wurde: RegE
Coins

Verschwendung

Die Verwaltung kann einfach nicht mit Geld umgehen.

Und natürlich wird das Ganze auch noch vom Gesetzgeber gefördert. Der hat eine Vorschrift in die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gepackt, die der Behörde im Gerichtsverfahren gestattet, 20 € Pauschale für Telekommunikations- und Portokosten vom Gegner einzuholen[1]. Da die Behörde regelmäßig keine Anwälte für die Prozeßführung hinzuzieht, sind das die einzigen der Behörde zu erstattenden Kosten.

Selbstverständlich verzichtet die Behörde nicht auf die 20 €.

  • Es wird ein Kostenfestsetzungsantrag erstellt. Ziemlich genau vier Monate nach Abschluß des Verfahrens.
  • Der Antrag wird an das Gericht gesandt und wird vom Kostenbeamten bearbeitet.
  • Der Antrag wird vom Gericht an die Gegenpartei mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt.
  • In Kenntnis des § 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO beanstanden wir den Antrag nicht. Auch wenn es erstaunt, daß die Behörde sich für ihre Kosten auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bezieht. Bei uns entsteht also nur der Aufwand für die Verwaltung des Schriftstückes und die Entscheidung, nicht zu reagieren.
  • Der Kostenbeamte erläßt einen Kostenfestsetzungsbeschluß über 20 € zuzüglich Zinsen und stellt ihn uns und der Behörde zu.
  • Die Behörde muß den Beschluß verwalten und die Kosten ins Soll stellen.
  • Wir müssen den Beschluß verwalten und versenden ihn an die hinter unserem Mandanten stehende Rechtsschutzversicherung und bitten um direkten Ausgleich des Betrages an die Polizei.
  • Die Rechtsschutzversicherung rechnet die Zinsen aus und überweist den Gesamtbetrag an die Behörde. Wenn ohne Zinsen gezahlt wird kann sich dann natürlich weiterer spannender Schriftverkehr unter den Beteiligen entwickeln.
  • Die Versicherung informiert uns über die Zahlung.
  • Wir löschen die bei uns vermerkte Zahlungsfrist.
  • Bei der Behörde gehen 20 € ein. Der Zahlungseingang muß bearbeitet werden, die Sollstellung wird  ausgeglichen.

Ich kann mich des Eindruckes nicht verwehren, daß ich da noch ein paar Sachen nicht berücksichtigt habe. Sicher scheint mir aber, daß bei der Behörde der Aufwand deutlich höher als 20 € ist. Den Kollateralschaden beim Gericht, Anwalt und dem Rechtsschutzversicherer wollen und können wir auch nicht berechnen.

Tja, eine Lösung weiß ich auch nicht. Die Landeshaushaltsordnung sieht nur bei Kleinbeträgen bis zu 5 € vor, daß sie nicht angefordert werden sollen[2].

Oder weiß jemand, wie man diesen Unsinn rechtmäßig beenden kann?

 

 

  1. [1]§ 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO
  2. [2] Anlage Nr. 2.6 zu § 59 LHO

3.366 politisch motvierte Gewalttaten in 2018

Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage der Grünen die Statistik zur Politisch Motivierten Kriminalität PMK 2018 weiter aufgeschlüsselt.

Die Antwort (BtDrS 19/10583) mit aufschlussreichen Tabellen finden Sie: hier

Für die Gewalttaten ergibt sich folgendes Bild:

  • 1.156 rechts motivierte Gewalttaten
  • 1.340 links motivierte Gewalttaten
  • 425 ausländische Ideologie
  • 58 religiöse Ideologie
  • 387 nicht zuzuordnen

Damit man weiß, worüber wir eigentlich derzeit diskutieren.

Die Bundestagsdrucksache 19/10583 ist wirklich lesenswert.

Den Bericht PMK 2018 mit den bundesweiten Fallzahlen finden Sie: hier

Sollten Sie Betroffener einer solchen Gewalttat sein, nehmen Sie bitte mit unserem Opferschutzreferat Kontakt auf.