Ich bin es leid, mich bei Terminskollisionen oder anderen Verhinderungen immer häufiger als Bittsteller fühlen zu müssen, wenn ein Richter es nicht für notwendig erachtet, Termine für eine Hauptverhandlung mit mir abzusprechen und ich somit gezwungen bin, einen Verlegungsantrag zu stellen.
Manchmal trifft es zwar einen Kollegen, aber ich ärgere mich trotzdem:
In einem Strafbefehlsverfahren, in dem ohne jeden Zweifel ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, stellt er den folgenden Verlegungsantrag:
„In der Strafsache
teile ich mit, dass ich am Terminstag, den 5.11.2014, wegen einer einwöchigen Fortbildungsveranstaltung vom 3. bis 7. 11. 2014 verhindert bin.
Ich rege an, Termine mit mir abzustimmen.
gez. Rechtsanwalt „
Das Gericht antwortet prompt:
„…werden Sie höflichst um Glaubhaftmachung der Verhinderung gebeten.“
Was soll das?
Muß die Akte denn wirklich noch um eine Kopie der Anmeldebestätigung angereichert werden?
Oder wird dem Kollegen einfach nicht geglaubt, obwohl die anwaltliche Wahrheitspflicht für ihn streitet?
Die Bekanntgabe
„Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung“
ist nichts anderes als eine Glaubhaftmachung der Verhinderung!
Denn auch wir Strafverteidiger sind Organe der Rechtspflege, sind pflichtbewusst und lügen nicht mehr als Richter und Staatsanwälte.
Wenn der Kollege also in einem laufenden Strafverfahren schreibt – und als Rechtsanwalt unterschreibt, verhindert zu sein, dann versichert er diese Tatsache damit anwaltlich.
Das hat dem Gericht zu reichen, mehr von dem Kollegen zu verlangen, empfinde ich als Demütigung.
Gottlob gilt die anwaltliche Versicherung noch als taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung.
Sie bekommen die Abschrift eines Schreibens Ihrer Pflichtverteidigerin an das Gericht. Das Schreiben beginnt mit den Worten:
bedanke ich mich für die Beiordnung …
Nun ist es spätestens an der Zeit, Ihre Verteidigerin zu fragen, was sie damit meint!
Danke, liebes Gericht, daß Du Recht angewandt hast?
Danke, liebes Gericht, daß Du mich zur Verteidigerin bestellt hast; ich bin auf Pflichtverteidigungen angewiesen?
Danke, liebes Gericht, ich werde mich erkenntlich zeigen und die Verurteilung meines Mandanten treu begleiten?
Das ist es natürlich nicht, sondern eine reine Höflichkeitsfloskel, wird Ihre Verteidigerin berichten. Um den Regeln des Anstandes, den geltenden Umgangsformen Genüge zu tun.
Sie wird Ihnen – vielleicht – auch ein Schreiben an die Bußgeldbehörde in eigener Sache zeigen:
bedanke ich mich für die Übersendung des Bußgeldbescheides und lege Einspruch ein …
https://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gif00Andreas Jedehttps://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gifAndreas Jede2014-06-10 16:48:182014-06-10 16:48:18Frage an die Pflichtverteidigerin
Es wurde auch Zeit, einen unwürdigen Zustand zu beseitigen!
Was bisher geschah?
Das ZRBG (Einzelheiten: hier!) wurde im Jahr 2002 beschlossen. Jedoch führte die Rechtsauslegung des Bundessozialgerichts zunächst dazu, dass rund 90 Prozent der Anträge auf Renten nach diesem Gesetz abgelehnt wurden.
Das ist ja erstmal wertfrei.
Nach einer 2009 erfolgten veränderten Rechtsprechung konnte nachträglich in über 50 Prozent der zunächst abgelehnten Fälle eine Rente bewilligt werden.
Das ist nichts Ungewöhnliches, eine Änderung der Rechtsprechung. Kommt vor, häufig.
Wo ist das Problem?
Einige Betroffene hatten vor Juni 2009 schon negative, rechtskräftige Urteile, andere hatten zu diesem Zeitpunkt noch offene Verfahren bei der DRV oder den Gerichten – es war ein reiner Zufall, welche Verfahren schon abgeschlossen waren und welche nicht. Diejenigen, deren Verfahren noch offen waren, bekamen nun Rentenzahlungen rückwirkend ab dem 01.07.1997. „Pech“ hatten diejenigen, bei denen die Behörden zügiger gearbeitet hatten: Ihre Verfahren wurden neu überprüft und dann lediglich rückwirkend für vier Jahre (also ab dem 01.01.2005) Rente gezahlt. Zur Begründung wurde auf einen Paragrafen im Sozialgesetzbuch zurückgegriffen, nachdem Behörden im Falle einer rechtswidrigen, negativen Entscheidung längstens für 4 Jahre rückwirkend Sozialleistungen erbringen müssen. Dies macht einen Unterschied von durchschnittlich 15.000,00 € pro Betroffenen – in Tausenden von Fällen! Dabei hatten die Holocaust-Verfolgten doch schon 7 Jahre gewartet, um überhaupt eine Rente zu bekommen. Viele waren aufgrund dieser langen Verfahrensdauer schon verstorben – schließlich sind die jüngsten von ihnen schon über 80 Jahre alt.
Quelle: Erläuterungen zum ZRBG bei DSP
Und das Gesetz zur Änderung dieser schreienden Ungegerechtigkeit ist nun auf dem Gesetzgebungsweg vom Ausschuß für Arbeit und Soziales am 04.06.2014 einstimmig abgenickt worden.
Und was findet sich zum Entsetzen der rechtschaffenden damit befaßten Anwaltschaft? Die Anwälte werden um ihr Honorar beschissen!
Zu § 4 (Auszahlung)
Die Regelung stellt in Anlehnung an § 4 Absatz 1 der Anerkennungsrichtlinie sicher, dass die überwiegend hochbetagten Berechtigten unmittelbar nach Erhalt ihres Rentenbescheides in der Regel selbst über ihre Rentennachzahlung verfügen können. Hierdurch wird unter anderem vermieden, dass Rentennachzahlungen auf das Konto eines bevollmächtigten Rechtsbeistandes überwiesen werden und den Berechtigten erst nach Verrechnung mit Honorarforderungen zur Verfügung stehen. Das Bedürfnis der Berechtigten, über ihre Nachzahlung unmittelbar verfügen zu können, ist in diesen Fällen höher zu bewerten als das Bedürfnis der Rechtsbeistände nach einem unmittelbaren Ausgleich ihrer Honorarforderungen.
Quelle: Begründung Gesetzentwurf BTDrS 18/1308
Der Gesetzgeber weiß sehr genau, daß damit die Chance der Anwälte, ihr Honorar zu erhalten, gegen Null tendiert.
Warum das so eine Sauerei ist?
Die Berechtigten sind regelmäßig schon zur Zeit der Antragstellung hochbetagt gewesen und alles andere als reich. Viele von ihnen leben im außereuropäischen Ausland von Sozialleistungen. Sie waren und sind nicht in der Lage, die Verfahren selbst zu betreiben. Schon die Sprachbarriere und die deutschsprachigen Formulare sind unüberwindbare Hindernisse für sie.
Wie einige andere Anwälte auch, haben wir zahlreiche dieser Verfahren über Jahre, teilweise seit 2002 betrieben. Unzählige Korrespondenz geführt, mit alten Menschen stundenlang gesprochen, faszinierende Lebensgeschichten gehört, Prozesse vor den Sozialgerichten und Landessozialgerichten bundesweit geführt, und wir sind in Vorleistung gegangen!
Kaum einer unserer Mandanten wäre in der Lage gewesen, uns einen Vorschuß zu zahlen. Schon gar nicht für Verfahren, deren Ausgang vom puren Zufall abhing. Wir haben daher Zahlungsanweisungen unserer Mandanten an die Rentenversicherungsträger, wonach die Zahlungen auf unsere Rechtsanwaltsanderkonten zu leisten sind. Für jeden Mandanten haben wir ein separates Rechtsanwaltsanderkonto eingerichtet.
Was wird passieren? Den Rentenversicherungsträgern wird es in einer Vielzahl von Fällen nicht gelingen, die Kontoverbindung der Berechtigten ausfindig zu machen. Etliche sind mittlerweile verstorben, und deren anspruchsberechtigte Erben zu ermitteln wird schwierig für die DRV. Praktisch, da sparen sie halt Geld! In den anderen Fällen zahlen sie das Geld ins Ausland direkt.
Wir haben unsere Arbeit erfolgreich geleistet und einen Honoraranspruch. Toll! Wir können dann unsere Rechnungen an 90jährige Mandantinnen oder deren Erben nach Brasilien, USA und Israel schicken. Wenn wir Glück haben, wollen die Mandantinnen zahlen, können es aber nicht (Pfändungen, Betreuungen, etc., pp.) Der Regelfall wird wohl sein, daß unsere Rechnungen im Orkus verschwinden.
Jahrelang gearbeitet. Sozial verhalten und nun vom Gesetzgeber angeschissen!
Das Bedürfnis der Berechtigten, über ihre Nachzahlung unmittelbar verfügen zu können, ist in diesen Fällen höher zu bewerten als das Bedürfnis der Rechtsbeistände nach einem unmittelbaren Ausgleich ihrer Honorarforderungen.
Diese Gutmenschen! Wie einfach es doch ist, Wohltaten aus den Taschen anderer zu bezahlen.
Und ist ein Schuft, wer Böses dabei denkt, daß das Gesetz nicht wenigstens die Zahlung der Gebühren an den Rechtsbeistand anordnet?
[1] Max Liebermann: „Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“ – beim Betrachten des Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933↩
Unbeschreibliches Grauen packt mich ob der Haftung der Anwälte:
Die Beschwer der Klägerin beträgt 69.939.698 €.
Worum geht’s?
Am 15.3.2013 haben die anwaltlichen Vertreter der Kl. ihre Berufungsbegründungsschrift an das Elektronische Gerichtspostfach (EGVP) des OLG Düsseldorf gesandt. Das Schriftstück ist auf dem zentralen Eingangsserver für das EGVP (Intermediär) eingegangen. Von dort haben die Prozessbevollmächtigten der Kl. umgehend eine automatisiert erstellte Eingangsbestätigung erhalten, die (u.a.) das Eingangsdatum und die Uhrzeit des Eingangs auf dem Server ausweist.
Wo ist das Problem, ist doch perfekt gelaufen?
Nein, überhaupt nicht gut gelaufen. Denn die Landesregierung hat noch nicht durch Rechtsverordnung bestimmt, daß das OLG Düsseldorf am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt. Gleichwohl unterhält das Gericht bereits ein EGVP-Postfach, und für dort eingereichte Schriftstücke wird die Eingangsbestätigung (s.o.) versandt.
Die Berufungsbegründungsschrift ist damit nicht rechtzeitig beim OLG Düsseldorf eingegangen. Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Prozeß ist verloren.
Die Frankfurter Kanzlei ist – wie wir – gewohnt, ihre Schriftsätze mittels EGVP zu versenden. In den meisten Bundesländern ist das unproblematisch, in einigen kann man die Gerichte nicht über das EGVP erreichen. Tückisch für die Mitarbeiter der Kanzlei war, daß man im System der Kanzlei und dem EGVP-Client den Adressaten OLG Düsseldorf anwählen konnte (und immer noch kann):
Also eine böse Falle: Der Anwalt macht alles fertig, die Angestellte stellt den Schriftsatz in das EGVP ein, der Anwalt signiert mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur den Schriftsatz und die Angestellte versendet es an das OLG und erhält eine Eingangsbestätigung. Die Frist wird als erledigt gestrichen. In diesem Fall ist die Frist versäumt, der Prozeß verloren und die Kanzlei haftet für den daraus entstanden Schaden der Klägerin.
Die Kanzlei versuchte noch einen Wiedereinsetzungsantrag, den das OLG Düsseldorf mit Urteil v. 24.07.2013 – VI-U (Kart) 48/12 verworfen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß es Sache des Anwaltes ist, sich über den Weg des Versandes zu versichern und dies nicht an das Personal delegiert werden darf:
An die Auswahl eines neuen Übermittlungsweges für die Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift sind keine geringeren Anforderungen zu stellen. Auch sie gehört zum nicht delegierbaren Kernbestandteil der anwaltlichen Tätigkeit und erfordert die vorherige rechtliche Prüfung, ob der in Aussicht genommene Übermittlungsweg verfahrensrechtlich zugelassen ist.
Technik des Grauens.
Da bleibt mir auch die Häme gegen Großkanzleien im Halse stecken. Ob die wohl, wie so viele Großkanzleien, eine Haftungsbeschränkung vereinbart haben?
https://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gif00Andreas Jedehttps://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gifAndreas Jede2014-05-16 19:12:272014-05-16 19:12:27Teuerste EGVP-Anwendung aller Zeiten
Taugt nichts, kostet aber sehr viel Geld, das Geld der Rechtsanwälte. 17,9 % der erledigten Verfahren wurden durch Schlichtungen und interne Einigungen beendet.
Und dieses Zitat der Schlichterin sagt alles:
Schlichtung ist nicht nur Verbraucherschutz. Die Rechtsanwälte haben Verantwortung im Rechtsstaat übernommen, indem sie selbst und auf eigene Kosten eine Schlichtungsstelle eingerichtet haben. Die Anwaltschaft beobachtet sich selbst, erkennt Schwachstellen und versucht gegenzusteuern.
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