Bahnstreik? JA BITTE!
Es hat mir überhaupt nicht gefallen. Statt 45 Minuten saß ich über 2 Stunden in überfüllten stinkenden Zügen der BVG und damit ging es mir noch besser als vielen anderen Bahnkunden.
Was mir noch weniger gefällt sind die Berichte mancher Zeitungen und Stammtischparolen. „Wir werden zu Geiseln gemacht!“
Diesem Pöbel ist die Bundesregierung gefolgt und hat ein Gesetz auf den Weg gebracht. Ein Einheitsgesetz. Das Tarifeinheitsgesetz, von dem DIE LINKE behauptet:
Der vorliegende Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/4062)[1]
ist Verfassungsbruch mit Ansage.
heißt es im Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 18/4184).
Genauer: Eingriff in das Streikrecht, Grundrecht des Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz.
Den Damen und Herren der Bundesregierung gefällt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nicht, das am 7. Juli 2010 – 4 AZR 549/08 – den Grundsatz der Tarifeinheit gekippt hat.
Wir beschweren uns darüber, daß jemand sein Recht wahrnimmt und reagieren mit einer Änderung des Rechts?
Vielleicht gefällt den Damen und Herren auch ein anderes Grundrecht nicht, das Ihnen oder mir sehr wichtig ist? Beispielsweise das Recht, unsere Meinung zu äußern? Oder das Recht, jederzeit das Bundesverfassungsgericht um Hilfe anzuflehen?
Völlig abwegig?
Mitnichten! Manchen Damen und Herren aus der Politikerkaste gefällt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur dann, wenn es mit ihren Meinungen konform geht.
Zugegeben, das ist bei mir auch so. Es gibt nicht wenige Entscheidungen des BVerfG, die mir nicht gefallen und einige, die ich für unvertretbar halte.
Aber deswegen in die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes eingreifen?
Natürlich nicht! Oder doch?
Sogar der protokollarisch zweithöchste Mann in unserem Staatswesen, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), plädierte für eine Grundgesetzänderung, um den Einfluss der Richter einzudämmen [2].
Heute gelesen. Paßt wie die Faust aufs Auge:
Der Wähler als Konsument hat heute kein wirkliches Interesse an der Politik, an der aktiven Gestaltung der Gemeinschaft. Er ist weder gewillt noch fähig zum gemeinsamen, politischen Handeln. Er reagiert nur passiv auf die Politik, indem er nörgelt, sich beschwert, genauso wie der Konsument gegenüber den Waren oder Dienstleistungen, die ihm nicht gefallen. Auch die Politiker und Parteien folgen dieser Logik des Konsums. Sie haben zu „liefern“. Damit verkommen sie selbst zu Lieferanten, der die Wähler als Konsumenten oder Kunden zufriedenzustellen hat.
Byung-Chul Han, Psychopolitik – Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, ISBN 978-3100022035
Vor mehr als zwei Jahren hatte ich schon aus Han, Transparenzgesellschaft, zitiert: Gedanken für die neue Woche 9. In der „Psychopolitik“ bringt er es wieder auf den Punkt:
Eine totale Konformität ist eine weitere Folge des Transparenz-Dispositivs. Zur Ökonomie der Transparenz gehört es, Abweichungen zu unterdrücken. Die Totalvernetzung und Totalkommunikation wirkt schon als solche einebnend. Sie erzeugt einen Effekt der Konformität, als würde jeder jeden überwachen und zwar vor jeder Überwachung und Steuerung durch Geheimdienste. Heute findet die Überwachung auch ohne Überwachung statt.
- [1] Den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens finden Sie: hier!↩
- [2]ZEIT 19.04.2015↩
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