Befangen zugunsten des Mandanten
Ich bin selten sprachlos. Ich habe nur gestaunt. Und frage mich, was ich tun soll.
Wir vertreten den Beklagten. Termin heute vor dem Amtsgericht. Der Richter erklärt, daß er lange nach Entscheidungen gesucht habe. Und dann der Knall im All:
Der Begründungsaufwand für ein klagestattgebendes Urteil ist höher als für ein klageabweisendes Urteil. Ich werde die Klage abweisen.
Das habe ich mir schon oft gedacht aber noch nicht gehört. Vor solchen Richtern habe ich einfach nur Angst. Kein Proberichter, sondern weiterer aufsichtsführender Richter.
Was machen wir jetzt? Ein klassischer Fall von Befangenheit. Den Mandanten konnte ich nicht fragen und er hätte wohl auch einem Befangenheitsantrag nicht zugestimmt.
Beschwerde an den Präsidenten des Amtsgerichtes? Benötige ich für die Beschwerde die Genehmigung des Mandanten?
Der Befangenheitsantrag in dem Fall ist doch eh Aufgabe des Klägervertreters, also wo ist das Problem?
Vorschlag:
Urteil rechtskräftig werden lassen. Dann Beschwerde an Präsidenten des Landgerichts. Zustimmung des Mandanten ist dann m.E. nicht mehr erforderlich, da die Äußerung in öffentlicher Sitzung gefallen ist und eine Beeinträchtigung der Belange des Mandanten durch die Beschwerde dann nicht mehr recht in Betracht kommt.
Konsequent zu Ende gedacht könnte es sich aber um Rechtsbeugung handeln. Wird der Richter deswegen verurteilt, käme Wiederaufnahme in Betracht. Also doch ein Nachteil für den Mandanten. Verzwickte Lage.
Da wir doch verpflichtet sind, für den Mandanten alles zu tun und auch den sichersten Weg zu gehen – und die anwaltliche Vollmacht auch zu nahezu allem ermächtigt – worüber machen sie sich Sorgen? Immer feste druff !
Derartige Richter sind nicht nur unerträglich, sie sind auch untragbar. Und die Verurteilungen wegen Rechtsbeugung gehen bekanntlich gegen Null.
Was sagt der Kollege auf der Gegenseite ?
Ich stehe etwas auf dem Schlauch, aber meine Zivilstation ist auch schon etwas her…ich hätte es nämlich genau umgekehrt erwartet. Bei nem stattgebenden Urteil picke ich mir als Ri eine Anspruchsgrundlage heraus, die durchgeht, und bin fertig. Bei nem abweisenden muss ich darlegen, warum keine einzige besteht. Ist doch umfangreicher?
Bitte nennen Sie mir doch den Namen des Richters, ich werde auf meiner Website eine Pranger-Aktion durchführen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Haeger
RA Jede
Da der Kollege auf der Gegenseite offenbar nichts zu beanstanden hatte – jedenfalls berichten Sie nichts davon – , tippe ich eher auf ein akustisches Missverständnis.
Etwas Ähnliches hatten wir auch schon mal. Verhandlung vor dem OLG Frankfurt. Die Vorsitzende unterbreitet einen Vergleichsvorschlag mit dem Zusatz: „Wer den Vergleich nicht annimmt, verliert.“ So war es dann auch.
Nein, ich habe mich nicht verhört!
Die Abweisung der Klage ist tatsächlich einfach, weil sie offensichtlich unbegründet ist.
Wenn da nicht der Zeitgeist wehte. Dem Richter schmeckte die Rechtslage nicht. Er hätte allzu gerne der Klage stattgegeben. Das war ihm anzumerken. Seine Verachtung mir gegenüber konnte er kaum verbergen. Sowie auch nur das Wort „Waffen“ ins Spiel kommt, ist es mit der Rationalität zu Ende. Ich werde über dieses Verfahren noch ausgiebig berichten wenn alle Entscheidungen bestandskräftig sind.
Auf der Gegenseite kein Anwalt, sondern die Angestellte eines großen Unternehmens.
Bei der Sachlage sehe ich letztlich keine Befangenheit zu Gunsten Ihres Mandanten. Besorgnis der Befangenheit, ja – aber eben nicht zu Gunsten Ihres Mandanten, allenfalls im Ergebnis. Der Richter hat doch alles ihm Mögliche versucht, der Klage stattzugeben – und ist dabei zu seiner Enttäuschung offenbar gescheitert.
Die Angst vor solchen nicht einschätzbaren Richtern kann ich nachvollziehen, eine Patentlösung für derartige Vorkommen gibt es sicherlich nicht. Ein persönliches Schreiben zeugt zwar von Rückgrat und einer gesunden Einstellung zur Rolle als Organ der Rechtspflege, bringt aber bestenfalls im Ergebnis nichts, sondern kann das Verhältnis zum Richter (was sicherlich grundsätzlich egal sein dürfte, aber trotzdem) allenfalls noch weiter trüben.
Vielleicht haben Sie bzw. Ihr Mandant aber auch „Glück“ und die Gegenseite geht in Berufung; dann mag ein klagabweisendes Urteil im Ergebnis bestätigt werden, diesmal mit angemessenem Begründungsaufwand und ohne derart überflüssige Äußerungen.
Rechtsbeugung sehe ich nach Ihrer Schilderung aber nicht – die zur Klagabweisung führende Auffassung ist ja wohl (möglicherweise als Einzige) vertretbar, selbst wenn sie den persönlichen Vorlieben des Richters gerade nicht entspricht; das ist dann sogar eher rechtstreues als rechtsbeugendes Verhalten des Richters.
Je weniger vertretbar die Rechtsansicht, desto höher der Begründungsaufwand.
Insofern wollte der Richter wohl nur ausdrücken, dass er sich der h.M. anschließt.