Anwaltliches Inkasso führt zur Gewerbesteuerpflicht

Das Niedersächsische Finanzgericht hat mit seiner Entscheidung vom 15.09.2011 – 14 K 312/09 – das Berufsrecht auf den Kopf gestellt.

  1. Inkassotätigkeit ist nur dann berufstypische anwaltliche Tätigkeit, wenn jede einzelne Forderung in rechtlicher Hinsicht geprüft wird. Vom Rechtsanwalt durchgeführtes Volumeninkasso ist gewerbliche Tätigkeit.
  2. Die Einkünfte aus Inkassoaufträgen ohne Einzelfallprüfung sind für Zwecke der Gewerbesteuer getrennt zu erfassen.

  3. (Leitsätze des Verfassers)

Was war passiert? Ein Rechtsanwalt betrieb Volumeninkasso. Systembedingt erfolgt keine Prüfung der Forderung im Einzelfall, die Forderungsdaten wurden dem Rechtsanwalt standardisiert übergeben, der den Forderungseinzug automatisiert betrieb. Das Finanzamt sah dies als gewerbliche Tätigkeit und erließ entsprechende Steuerbescheide, die das Finanzgericht bestätigte.

Auf den ersten Blick scheint das Urteil nur das Volumeninkasso zu betreffen. Tatsächlich sind jedoch davon alle Fälle des Forderungseinzuges betroffen, die keiner Einzelfallprüfung bedürfen.

Die Aufträge des Artzes, der zum Quartalsende die nicht bezahlten ärztlichen Liquidationen übergibt; all die vielen Fälle, in denen standardisiert Verfahren ablaufen, sind getrennt zu erfassen und unterliegen der Gewerbesteuer. Dem Urteil ist auch kein Grund dafür zu entnehmen, daß es sich auf die außergerichtliche Inkassotätigkeit beschränkt. Das gesetzliche Mahnverfahren sieht keine Einzelfallprüfung vor.

Nachstehend die Entscheidungsgründe

Entscheidungsgründe

1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) unterliegen nur (inländische) gewerbliche Unternehmen i.S. des EStG der Gewerbesteuer. Nicht gewerblich sind danach – gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG – Betriebe, deren Betätigung als Ausübung eines freien Berufs oder als eine sonstige selbständige Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 EStG) anzusehen ist. Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehört insbesondere die selbständig ausgeübte Berufstätigkeit der Rechtsanwälte. Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind gemäߧ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG außerdem Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit, z. B. Vergütungen für die Vollstreckung von Testamenten, für Vermögensverwaltung und für die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied.

Der Kläger war im Streiljahr als Rechtsanwalt selbständig tätig. Er erzielte aus der Rechtsanwaltstätigkeit daher nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG grundsätzlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit und nicht aus Gewerbebetrieb.

Es ist allerdings geboten, die berufsbildtypische Ausübung eines Katalogberufs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG von der Ausübung anderer Berufe abzugrenzen, soweit ein Berufsträger im Sinne der Vorschrift Tätigkeiten entfaltet, die sich – wie im Streitfall die Tätigkeit eines Inkassounternehmens – zu einem selbständigen Berufsbild verfestigt haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs- BFH- vom 15. Juni 2010 VIII R 10/09, BFHE 230, 47, m.w.N. und ständige Rechtsprechung). Hierfür spricht das Gebot verfassungsrechtlicher Gleichbehandlung in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil sich für unterschiedliche steuerrechtliche (hier insbesondere gewerbesteuerrechtliche) Folgen der Ausübung eines solchen verselbständigten Berufs je nach Vorliegen oder Nichtvorliegen einer freiberuflichen Qualifikation i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG keine Rechtfertigung findet, wenn der verselbständigte Beruf seinem Berufsbild nach keine Ausbildung oder Zulassung für einen der Katalogberufe i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG voraussetzt (BFH-Urteil in BFHE 230,47, m.w.N.).

2. Bezieht ein Rechtsanwalt Einkünfte, die teilweise auf der beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt und teilweise auf einem berufsfremden Geschäft beruhen, sind sie möglichst getrennt zu erfassen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2007 IX R 48/05, BFH/NV 2007, 886).

Übt ein Steuerpflichtiger sowohl eine freiberufliche als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so sind diese zu trennen, sofern dies nach der Verkehrsauffassung möglich ist (BFHUrteile vom 18. Oktober 2006 XI R 10/06, BFHE 216, 518, BStBI II 2008, 54, und vom 8. Oktober 2008 VIII R 53/07, BFHE 223, 272, BStBI II 2009, 143). Das gilt auch dann, wenn sachliche und wirtschaftliche Bezugspunkte zwischen den verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Bei unterschiedlichen Aufträgen (oder Projekten) liegt eine Trennung erkennbar nahe (BFH-Urteil in BFHE 223, 272, BStBIII 2009, 143, unter II.4.a. der Gründe).Sofern die Trennung der Einkünfte nur durch Schätzung erfolgen kann, muss diese grundsätzlich auch durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 223, 272, BStBI II 2009, 143, unter II.3.d. der Gründe).

Sind aber bei einer Tätigkeit beide Tätigkeitsarten derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingen, so liegt eine einheitliche Tätigkeit vor, die steuerlich danach zu qualifizieren ist, ob das freiberufliche oder das gewerbliche Element vorherrscht. Schuldet ein Steuerpflichtiger gegenüber seinem Auftraggeber einen einheitlichen Erfolg (eine einheitliche Dienstleistung), so ist auch die zur Durchführung des Auftrags erforderliche Tätigkeit regelmäßig als einheitliche zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. April 1997 IV R 60/95, BFHE 183, 150, BStBl II 1997, 567, und vom 18. Mai 2000 IV R 89/99, BFHE 191, 568, BStBI II 2000, 625, m.w.N.). Auf den geschätzten Anteil der einzelnen Tätigkeit am Umsatz oder Ertrag der Gesamttätigkeit kommt es dann nicht an (BFH-Urteil in BFHE 216, 518, BStBl II 2008, 54, m.w.N.).

3. Nach diesen Maßstäben ist die bloße außergerichtliche Inkassotätigkeit des Klägers für … nicht als typische anwaltliehe Tätigkeit i.S. des§ 18 Abs. 1 EStG anzusehen und daher für sich grundsätzlich als gewerblich einzustufen.

Das Berufsbild eines Rechtsanwalts hat die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Recht anhand des Berufsrechts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) definiert. Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege; er übt einen freien Beruf aus und ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§§ 1-3 BRAO). Das Berufsbild wird demnach geprägt von der Aufgabe, in allen Rechtsangelegenheiten eigenverantwortlich Rechtsrat zu erteilen und für Rechtsuchende deren Rechtsangelegenheiten zu besorgen (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 17. Januar 1977 AnwZ (B) 23/76, BGHZ 68, 62). Der BFH hat im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 68, 62) bereits die Auffassung vertreten, dass von den anderen, nicht das Berufsbild prägenden Tätigkeiten eines Rechtsanwalts nicht jede außerjuristische, auch nicht jede kaufmännische (insbesondere auch nicht jede verwaltende) Tätigkeit mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar ist. Seine Zuständigkeit zur Besorgung von Rechtsangelegenheiten ist nicht auf die Erteilung von Rechtsrat beschränkt, sondern umfasst auch die Übernahme derjenigen Tätigkeiten für den Mandanten, die der Rechtsanwalt für richtig hält (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 99/78, BFHE 148, 184, BStBI II 1987, 147, m.w.N.). Rechtsbesorgung in diesem Sinne ist z.B. auch die Einziehung von Forderungen für einen Dritten oder die Kreditvermittlung, wenn der Rechtsanwalt gerade in dieser Eigenschaft damit beauftragt wurde und sich um die Klärung der rechtlichen Voraussetzungen einer Forderungseinziehung oder Kreditgewährung kümmern muss (BFH-Urteil in BFHE 148, 184, BStBI II 1987, 147, vgl. auch BGH-Urteil vom 26.0ktober 1955 VI ZR 145/54, BGHZ 18, 340).

Die Übernahme von Inkassoaufträgen ist indessen keine dem Rechtsanwaltsberuf vorbehaltene oder ihn in besonderer Weise charakterisierende Tätigkeit (Finanzgericht – FG – Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Oktober 1994 1 K 2852/93, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1995, 222; FG Bremen, Urteil vom 12. April 1973 II 10/73, EFG 1973, 464; FG Köln, Urteil vom 8. Oktober 1998 15 K 3707/98, EFG 1999, 486). So kann insbesondere nicht allein aus dem Umstand, dass ein Rechtsanwalt auch die Einziehung von Forderungen für einen Dritten im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten übernehmen kann und Rechtsanwälten die Erlaubnis zum Betrieb eines Inkassobüros nicht allein wegen ihrer parallel weiterlaufenden Anwaltstätigkeit versagt werden kann (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof- VGH -, Urteil vom 29. Februar 2000 11 UE 3337/99, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2000, 2370), geschlossen werden, die Inkassotätigkeit sei insgesamt eine berufstypische anwaltliehe Tätigkeit.

Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) in der im Streitjahr noch geltenden Fassung darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Die Erlaubnis wird jeweils für einen Sachbereich erteilt, und zwar nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG Inkassounternehmern für die außergerichtliche Einziehung von Forderungen (Inkassobüros). Inkassobüros üben indessen keine freiberufliche, sondern eine gewerbliche Tätigkeit aus; ihre Tätigkeit ist der eines Katalogberufs auch nicht ähnlich (BFH-Beschluss vom 4. Oktober 1994 I B 240/93, BFH/NV 1995, 501; FG Rheinland-Pfalz, Urteil in EFG 1995, 222; FG Bremen, Urteil in EFG 1973, 464; FG Köln, Urteil in EFG 1999, 486). Im Vordergrund der Tätigkeit eines Inkassobüros steht nämlich die wirtschaftliche Aufgabe, Forderungen gegen Entgelt einzuziehen. Sie weist damit kaufmännischen Charakter auf.

Der Kläger wurde mit der Inkassotätigkeit durch … nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt beauftragt, damit er sich um die Klärung der rechtlichen Voraussetzungen der einzelnen Forderungseinziehung kümmern konnte. Der Kläger prüfte die ihm zur Einziehung übertragenen Forderungen nicht in rechtlicher Hinsicht. Dies konnte er schon angesichts der Zahl der einzuziehenden Forderungen auch gar nicht leisten. Eine rechtliche Prüfung der einzelnen einzuziehenden Forderungen wurde vom Kläger seitens … zudem nicht erwartet. Dies zeigt sich auch an der zwischen dem Kläger sowie … vereinbarten Vergütung eines festen Betrags pro Kunden, die deutlich unter dem gesetzlichen Gebührensatz lag.

4. Die bloße außergerichtliche Inkassotätigkeit des Klägers ist auch nicht den Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnen. Die Vorschrift enthält keinen abschließenden Katalog in Betracht kommender „Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit“, sondern lediglich die Auflistung der Regelbeispiele „Testamentsvollstreckung“, „Vermögensverwaltung“, „Aufsichtsratstätigkeit“. Weitere Tätigkeiten fallen nach dem Grundsatz der sog. Gruppenähnlichkeit in den Anwendungsbereich der Regelung, wenn sie ihrer Art nach den Regelbeispielen des § 18 Abs. 1 Satz 3 EStG ähnlich sind (BFH-Urteil in BFHE 230, 47). Das ist z.B. der Fall, wenn die Tätigkeit die Betreuung fremder Vermögensinteressen umfasst. Eine sonstige selbständige Arbeit kann aber auch dann vorliegen, wenn es sich um eine selbständig ausgeübte fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis handelt. Eine sonstige selbständige Arbeit
wird aber ebenfalls vorwiegend durch die persönliche Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen bestimmt (Schmidt/Wacker, EStG, 30. Aufl., § 18 Rz 147). Die außergerichtliche Inkassotätigkeit des Klägers war weder Testamentsvollstreckung, Vermögensverwaltung noch Aufsichtsratstätigkeit Sie war den Regelbeispielen des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG auch nicht ähnlich. Der Kläger wurde vielmehr wie ein gewerblicher Inkassounternehmer tätig. Charakteristisch für die Leistung des Klägers war das massenhafte Versenden standardisierter Mahnschreiben mittels seiner Büroorganisation, nicht aber die Betreuung fremder Vermögensinteressen oder eine sonstige fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis. Die persönliche Arbeitsleistung des Klägers war beim Inkasso ohne nennenswerte Bedeutung. Eine Tätigkeit, die ohne Mitarbeit des Steuerpflichtigen letztlich nur durch dessen Büroorganisation und fachlich nicht vorgebildete Hilfskräfte ausgeübt wird, ist schon deshalb keine sonstige selbständige Arbeit, weil ihr die für eine derartige Tätigkeit erforderliche persönliche Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen fehlt.

6 Kommentare
  1. Ben
    Ben sagte:

    Obwohl die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde in die Zeit der herbstlichen Gesellschaftsjagden fällt, ist das Urteil nicht rechtskräftig geworden.

    Argumente gegen die Entscheidung werden gerne entgegengenommen :-)

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